Kerstin Cameron, "Kein Himmel über Afrika - Eine Frau kämpft um ihre Freiheit"

(Das Buch zum Film)
Ullstein Taschenbuch, München, 2005
356 S., 20 EUR

Wer hinter dem etwas reißerischen Titel "Kein Himmel über Afrika - Eine Frau kämpft um ihre Freiheit" und nach einigen deutschen Medienberichten während des Gerichtsverfahrens in Arusha eine haßerfüllte, bittere Abrechnung mit der tansanischen Justiz, mit Korruption und unsäglichen Haftbedingungen in Ostafrika erwartet hat, den wird dieses Buch sicherlich positiv überraschen: Kerstin Cameron, die heute in der Nähe von Siegen wohnt, hat ihre eigene dramatische Geschichte subjektiv und spannend, aber unter Vermeidung effektvoller Übertreibungen geschrieben.

So werden dem Leser ganz unterschiedliche Aspekte, die dennoch irgendwie aber auch alle wieder miteinander zusammenhängen, hautnah vermittelt.

Da ist einmal die Beschreibung des ganz besondere Lebens der Weißen in einem Entwicklungsland, ihre geschäftlichen Aktivitäten im Tourismus, in der Landschaft, im Diamantengeschäft oder im Dienstleistungssektor, ihre unglaubliche Mobilität innerhalb Afrikas bzw. zwischen Afrika und ihren Heimatländern (da fliegt man mal eben für drei Tage nach England, um heimlich seine Geliebte zu treffen), die enge Verbundenheit der Weißen untereinander und ihr Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, die vor allem in Form von Kindermädchen, Nachtwächtern, Fahrern oder Sekretärinnen wahrgenommen wird (freundschaftliche Beziehungen innerhalb dieser Hierarchie nicht ausgeschlossen).

Da ist das Unvermögen neuseeländischer Eltern, den Selbstmord ihres Sohnes zu akzeptieren, geschweige denn, ihn zu verstehen - würde dies doch die Fähigkeit zur Reflektion des eigenen Lebens mit all ihren Stärken und Schwächen voraussetzen. Statt dessen wird ein Sündenbock gesucht in Form der Schwiegertochter, die den eigenen Sohn jenseits der offensichtlichen Beweislage einfach ermordet haben muß - wenn es denn sein muß, dann gleich auch noch in enger Komplizenschaft mit der gesamten ausländischen Gemeinde Arushas.

Dann natürlich die umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Justizwesen Tansanias, wobei die Autorin gleich mehrfach fair herausstellt, daß sie als Weiße während ihres monatelangen Aufenthaltes im Gefängnis von Arusha eine Vorzugsbehandlung erfuhr - allen ortsansässigen Ratten, Maden und Giftschlangen zum Trotz. Erschreckend die Schilderungen über die offensichtlich übliche jahrelange Verzögerung von Gerichtsverfahren, über die Bestechung von Justizangehörigen, über willkürliche Verhaftungen in Tansania, die das Land nicht ohne Grund auf die Anklagebank von Amnesty International gebracht haben. Erschütternd das erbärmliche Leben von Babys und Kleinkindern im Frauenknast und schockierend die fehlende medizinische Versorgung nach dem Motto "Wer nicht stark genug ist, der stirbt."

Doch dann immer wieder auch das andere Tansania: Der Umgang der Haftinsassen untereinander, die immer wieder beschriebene Menschlichkeit des Haftpersonals ("Pole sana, mama, mungu ana saidia"), ja selbst der Aufseherin und des Gefängnisdirektors jenseits aller Dienstvorschriften. Die Anteilnahme des einheimischen Dienstpersonals und die Unterstützung der Inhaftierten im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Und die Unsicherheit vieler Tansanier, ihre Angst vor Autoritäten im allgemeinen und vor weißen Funktionsträgern im Besonderen. Als eine Visite des stellvertretenden tansanischen Justizministers im Gefängnis bevorsteht, wird durch eine Prügelorgie des Aufsichtspersonals gegenüber den Gefangenen die eigene Angst vor der Visite regelrecht hinweg geprügelt. Nicht zu vergessen das positive Beispiel des tansanischen Richters Rutakangwa, der sich unbestechlich und ehrenhaft um eine gerechte Lösung des Falles bemühte und dessen Beförderung nach Abschluß des Verfahrens positive Ausblicke auf eine bessere Zukunft der tansanischen Justiz zumindest zuläßt.

Da ist die eindrucksvolle Schilderung, wie im modernen Medienzeitalter durch die Nutzung des Internets, der Fernsehanstalten und der Zeitungen eine öffentliche Meinung sowohl in Tansania als auch in Deutschland aufgebaut werden kann, die dann selbst die anfangs zurückhaltende deutsche Botschaft in Dar-es-Salaam zum Handeln zwingt. Wobei enge persönliche Kontakte, die unter der deutschen Kolonie in Ostafrika geknüpft werden konnten, sich zusätzlich als sehr hilfreich erweisen: Spätestens nach Interventionen von Außenminister Joschka Fischer, Gesprächen der Bundesregierung mit dem tansanischen Botschafter in Bonn oder beispielsweise auch einem Brief von Hans-Dietrich Genscher muß der tansanischen Regierung klar geworden sein, daß der Fall nicht einfach ausgesessen werden kann, ohne die deutsch-tansanischen Beziehungen zu belasten.

Schließlich geht es in dem Buch aber auch immer wieder um die Kraft der Autorin (die auch nach ihrer Entlassung weiterhin inhaftierte Insassen unterstützt) und um den Aspekt der Solidarität, die vor allem von der ausländischen Gemeinde in Arusha, aber eben auch von einheimischen Freunden (bis hin zur Einschaltung eines Medizinmannes) erfahren wird. Wobei (am Rande bemerkt) die große Zahl der immer wieder auftauchenden (Vor-)Namen den Leser doch zunehmend verwirrt.

Kerstin Cameron hat nie aufgehört, ihren jähzornigen, oft brutalen und ungerechten Ehemann zu lieben. Auf die Frage einer Journalistin in der Prozesspause "Was würden Sie tun, wenn er jetzt plötzlich um die Ecke käme?" antwortet sie spontan: "Ich würde mich in seine Arme stürzen und ihm alles verzeihen." Ihr geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Erklärungen einer gescheiterten Ehe. Der letzte Satz ihres Mannes vor seinem Selbstmord im Nebenzimmer lautete: "Sag meinem Vater, ich habe es versucht." Der erste Satz der Autorin vor Beginn ihres Buches lautet: "Dieses Buch ist meinen Eltern gewidmet, die wissen, dass ich es versucht habe."

Als Zusammenfassung des insgesamt lesenswerten Buches ist dem Vorwort des ehemaligen deutschen Botschafters in Kenia, Bernd Mützelburg, der als Mitarbeiter in der außenpolitischen Abteilung des Bundeskanzleramtes ganz wesentlich zur Lösung des Falles beigetragen hat, eigentlich nichts mehr hinzuzufügen:

"Kerstins Geschichte ist fast ein modernes Märchen aus Afrika, in dem gegen alle Wahrscheinlichkeit zu guter Letzt das Recht siegt. (...)

Neben der Freude über den Freispruch Kerstins hat es mich mit tiefer Genugtuung erfüllt, dass der tansanische Staat mit diesem Verfahren den Nachweis für die Reife seiner Institutionen und für die Verpflichtung seiner Justiz auf Recht und Gesetz geliefert hat. Tansania, das uns Deutschen als früheres Deutsch-Ostafrika historisch verbunden ist, hat für Kerstin und ihre Familie, aber auch für ihre vielen Freunde und, wer weiß, auch für ihre Leser dem Glauben an Afrika und die Wärme seiner Menschen neue Nahrung gegeben."

Alles über den Film "Kein Himmel über Afrika"
(inkl. Interview mit Buchautorin Kerstin Cameron)