"Wir haben als Kirche Fehler gemacht"

Im Juni 2023 wurde die deutsche Tansania-Szene durch die Meldung geschockt, dass das Lutindi Mental Hospital in den Usambara Bergen als eine von mehreren Institutionen der Nord-Ost Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Tansania (ELCT) per Gerichtsbeschluss gepfändet worden sei. Lutindi ist in Deutschland sehr bekannt, weil es als erste Psychiatrie Ostafrikas von Friedrich von Bodelschwingh gegründet und jahrzehntelang durch die berühmten Briefmarkenspenden an die Brockensammlung in Bethel finanziell unterstützt worden ist.
 

Interview mit Bischof Dr. Msafiri J. Mbilu (ELCT Nord-Ost Diözese, Lushoto)


Frage: Bischof Mbilu, gab es nach der Pfändung denn tatsächlich Interessenten, die das Krankenhaus in Lutindi, seine Teeplantagen, die ausgedehnten Wälder oder etwa gar die historische Lutindi Kirche günstig erwerben wollten?
Antwort: Von konkreten Kaufinteressenten habe ich bislang noch nichts gehört. Es gibt aber mit Sicherheit Leute, die genug Geld haben, um Teile von Lutindi zu kaufen. Denn Lutindi ist ja sehr interessant, weil die Gegend sehr schön ist. Und bei einer Zwangsversteigerung kann man Objekte meist sehr viel billiger bekommen. Aber ein Verkauf wäre natürlich viel zu schade, und daher habe ich immer wieder betont, dass dies für uns überhaupt nicht in Frage kommt.

Gab es denn schon eine Zwangsversteigerung?
Nein, wir haben ja schon sehr viel getan, um dies zu verhindern. So haben wir zum Beispiel Geld gesammelt, um dem Kläger, auf dessen Antrag Lutindi gepfändet wurde, entgegenzukommen. Insgesamt schuldeten wir ihm Gehälter in Höhe von 203 Millionen TSH (ca. 78.000 EUR). Wir haben ihm jetzt schon 16,5 Millionen TSH (ca. 6.500 EUR) gezahlt, um die Lage erst einmal zu beruhigen. Und Lutindi ist natürlich auch sehr viel mehr wert als 203 Millionen TSH.
 

Aber die Zwangsversteigerung ist noch nicht vom Tisch?
Nein. Aber ich sage den Gemeinden immer: Egal ob Lutindi, Magamba, Lwandai Secondary School, Bumbuli Hospital oder Vuga Press – wir verkaufen nicht!

Hintergrund des Pfändungsbeschlusses gegen Lutindi und mehrere andere Einrichtungen waren die seit vielen Jahren ausstehenden Gehälter von circa 120 kirchlichen Mitarbeitern, darunter viele Angestellte der von der Diözese gegründeten und inzwischen wieder aufgelösten evangelischen Sebastian Kolowa Memorial Universität (SEKOMU) in Lushoto. Ist aus Ihrer Sicht die Klage der Angestellten gegen die Diözese berechtigt?
Ja, natürlich, das ist ganz klar! Die Dozenten an der Uni haben über 4 Jahre ihre Gehälter nicht bekommen.

Während eines Sonntagsgottesdienstes in der Kathedrale von Lushoto bezifferten Sie Ende Juni die Schulden der Diözese auf 2,9 Millionen Euro, darunter Darlehen der CRBD-Bank, zahlungswirksame Gehälter, Ansprüche von Mitarbeiter und Zahlungsrückstände bei Sozialfonds. Ist es Stand heute bei dieser Summe geblieben?
Die Gesamtschulen belaufen sich auf 7,6 Milliarden TZS (ca. 2,9 Millionen Euro). Denn es geht nicht nur um die Gehälter von Mitarbeitern, sondern auch um den Rentenfonds, um nicht bezahlte Gebühren für die Energiebehörde TANESCO und um viele andere Dinge.

So ein Schuldenberg entsteht ja nicht von heute auf morgen. Gab es kein kirchliches Kontrollgremium, das rechtzeitig hätte einschreiten können?
Es gab schon Kontrollgremien, aber wir haben als Kirche Fehler gemacht. So wurde für 1,6 Milliaden TZS (ca. 620,000 Euro) ein großes Auditorium für die Universität gebaut, aber es gab nicht einmal genug Geld, um die einzelnen Raten zu bezahlen. So wurden immer weitere Kredite aufgenommen. Unsere Kontrolle war viel zu schwach. Aus diesen Fehlern lernen wir heute.

Welche Rolle spielte Ihr Vorgänger, Bischof Stephan Munga, der ja für die Diözese auch die finanzielle Gesamtverantwortung hatte?
2018 hat Bischof Munga einen Brief an alle Gemeinden verschickt mit der Bitte, Geld zu sammeln, um die Schulden an die Bank zurückzahlen zu können. Anfang 2020 kam dann die Information, dass die Spenden nicht für diesen Zweck verwendet worden sind. Darüber waren die Gemeindemitglieder sehr wütend. Wir wissen bis heute nicht, was mit dieser Geldsammlung geschehen ist.
 

Wir sprechen also über Betrug?
Es gab eine sehr intensive Prüfung der Buchhaltung. Bischof Munga, der jetzt in seinem Heimatort in der Nähe von Tanga wohnt, muss uns als damals Finanzverantwortlicher sagen, wo das Geld geblieben ist.

Als unbeteiligter Beobachter stellt man sich die Frage, ob sich die Diözese im Jahr 2012 mit der Gründung einer eigenen Universität mit allen Fachbereichen nicht von vornherein finanziell und organisatorisch übernommen hat. Es gab ja auch bereits die evangelische Uni Tumaini in Makumira im Meru District. Warum war diese zweite große Uni in Lushoto überhaupt nötig?
Die Gründung zuerst eines Colleges, dann einer Universität mit dem Ziel, dort vor allem Pädagogik anzubieten, war sehr wichtig und richtig. Es war die erste Universität in ganz Tansania, die diesen Fachbereich angeboten hat.

Aber dann kamen ja unzählige andere Fachbereiche hinzu wie Jura, Naturwissenschaften, Fremdsprachen etc.
Genau. Und schon damals gab es einige Leute, die die Loslösung von Makumira, die Gründung einer eigenen vollwertigen Universität mit allen Fachbereichen kritisierten und sie heute als Ursache der jetzigen Krise bezeichnen.
 

Die Gründung der evangelischen Uni in Lushoto war also ein Fehler?
Ja, es war ein Fehler. Vielleicht hätte man zumindest etwas länger warten sollen mit dem Aufbau der Uni. Warum musste alles so schnell gehen?

Bereits kurz nach der Gründung gab es ernste Probleme mit der tansanischen Regierung, weil Uni-Rektorin Anneth Munga nicht die von der Regierung verlangten akademischen Qualifikationen nachweisen konnte. Warum konnte das Problem nicht relativ schnell und in enger Rücksprache mit der Regierung gelöst werden?
Die Regierung hatte verlangt, dass innerhalb eines recht kurzen Zeitraums ihre Vorgabe umgesetzt wird, dass alle Universitätsrektoren in Tansania einen Professorentitel besitzen. Das Problem konnte von uns dann nicht schnell genug gelöst werden und prompt folgte die Strafe der Regierung. Wir durften keine neuen Studenten mehr aufnehmen. Dadurch fehlten uns aber die Einnahmen durch die Studiengebühren, die Quelle unserer gesamten Uni-Finanzierung. Andere Unis hatten es geschafft, der Forderung der Regierung sehr schnell nachzukommen.

Bischof Munga steckte in einer Zwickmühle, weil er seine eigene Frau als Rektorin absetzen musste.
So sagen es die Leute. Die Einsetzung eines neuen Rektors erfolgte leider zu spät.

Bereits 2018 wurde auf der Homepage der Fachhochschule für Diakonie (Bethel) in einem Erfahrungsbericht von ausstehenden Gehaltszahlungen, Protesten, Demonstrationen, Streiks und Verhandlungen an der Uni in Lushoto berichtet. Hätte man nicht schon da die Notbremse ziehen müssen?
Ja, wenn man schon früher reagiert hätte, hätte man die spätere Entwicklung verhindern können. Die Professoren führten ihre Prüfungen nicht durch, weil sie keine Gehälter bekamen - und dagegen protestierten dann natürlich die Studenten. Eine sehr komplizierte Situation.

Wie haben die einfachen Gemeindemitglieder reagiert, als sie erstmals über die Finanzlage ihrer Diözese informiert wurden?
Sie wurden zu Beginn nicht wirklich klar informiert. Bischof Munga hat nie die wirkliche Höhe der Schulden genannt, er sprach immer nur von den Bankschulden. Und als dann bekannt wurde, dass das gesammelte Geld nicht zur Tilgung der Bankschulden verwendet worden war, kam es zum Aufstand der Gemeinden. Sie stürmten das Büro des Bischofs, sperrten ihn aus und forderten dann später auch seinen Rücktritt.
 

Was hat Sie persönlich an der Aufgabe gereizt, in einer solch schwierigen Situation die Nachfolge von Bischof Munga anzutreten?
Man bewirbt sich ja nicht darum, Bischof zu werden. Man wird von den Gemeinden in das Amt berufen. Ich wurde gefragt, ob ich das Amt annehmen will, und ich habe es dann akzeptiert. Ich werde jetzt meine ganze Kraft dafür verwenden, dass sich eine ähnliche Situation für die Diözese nicht wiederholen wird.

Sie hätten das Amt ja auch ablehnen können?
Ich hatte gar nicht die Zeit, groß zu überlegen. Ich arbeitete zu der Zeit eigentlich als Dozent auf den Philippinen und bin nur nach Hause gekommen, um mich um meinen sehr kranken Vater zu kümmern. Er starb dann leider im Oktober und nur 33 Tage später auf der Synode in Lushoto wurde ich als einziger Kandidat für das Amt des Bischofs nominiert. Normalerweise wird auf einer Synode ein fünfköpfiges Kommitee gebildet, dass sich einige Zeit zurückzieht und dann der Synode 2-3 Kandidaten vorschlägt.
 

Was sagte Ihre Familie zu der Entscheidung?
Sie sagte: “Was können wir tun? Wir akzeptieren es.” (lacht). Es heißt doch so schön: “Bei einer Berufung sagt man mit tränenden Augen 'ja'!”

Die Diözese hat vor circa drei Monaten alle Kirchenmitglieder zu Geldspenden aufgefordert, um die Versteigerung der vom Gericht gepfändeten Objekte der Diözese zu verhindern. Wie viel ist durch diese Sammlung zusammengekommen?
Im Juli haben wir damit begonnen, 30.000 TSH (ca. 11,50 EUR) von jedem Gemeindemitglied einzusammeln. Insgesamt kamen 107 Mill. TSH zusammen (ca. 41.000 EUR). Im August war es aufgrund der Trockenheit etwas weniger. Wir hoffen, in jedem Monat 100 Mill. TSH (ca. 38.000 EUR) sammeln zu können. Das Geld wurde an die Mitarbeiter ausgezahlt, die auf ihre Gehälter warten.

Haben Sie eine Klage gegen Bischof Munga eingereicht?
Bislang noch nicht. Aber wir arbeiten daran, auch in Zusammenarbeit mit der Polizei. Niemand weiß, wo die Spenden geblieben sind. Sollte es eine Klage geben, dann nur gegen Bischof Munga in seiner Funktion als Finanzverantwortlicher. Er ist überhaupt der erste Bischof in der Geschichte unserer Diözese, der Schulden hinterlassen hat.

Sie haben öffentlich versprochen, in der weiteren Behandlung der Angelegenheit transparent vorzugehen. Wie sollen die Schulden weiter abgebaut werden und wie werden die Gemeinden Ihrer Diözese weiterhin über den Stand der Dinge informiert?
An jedem Monatsende gibt es einen Gemeindebrief mit aktuellen Informationen über die Spenden und ihre Verwendung. Dadurch sind die Gemeindemitglieder sehr motiviert, noch mehr zu geben. Denn grundsätzlich gibt es für uns keine andere Möglichkeit, als Geld zu sammeln. Die sogenannte '2 Dollar Kampagne' geht davon aus, dass jedes Gemeindemitglied in der Lage ist, monatlich zwei Dollar zu spenden. Insgesamt haben wir 130.000 Kirchenmitglieder in unserer Diözese. Weil aber circa 85 Prozent Kinder und arme Menschen sind, gehen wir davon aus, dass nur 15 Prozent in der Lage sein werden, 2 Dollar pro Monat zu zahlen. Dadurch kommen wir insgesamt auf mindestens 40.000 Dollar pro Monat, pro Jahr sind das dann schon einmal circa 480.000 Dollar. Wir organisieren zweitens Benefiz-Veranstaltungen wie in Daressalam. Davon erhoffen wir uns weitere 500 Mill. TSH (ca. 192.000 EUR) pro Jahr. Und drittens sprechen wir Partnerorganisationen, auch Muslime oder Partner in Deutschland oder in Amerika an, die uns unterstützen können. Vielleicht schaffen wir es, schon in drei Jahren alle Schulden abzutragen.
 

Beteiligt sich die ELCT, die mit 8,3 Millionen Mitgliedern in 27 Diözesen zweitgrößte lutherische Kirche der Welt und die größte lutherische Kirche Ostafrikas, an der Schuldentilgung?
Nein, allenfalls Einzelpersonen. Es geht hier um ein Finanzproblem der Diözese, nicht der ELCT.

Die Uni wurde inzwischen wieder zu einem College heruntergestuft und bietet aktuell nur noch eine Ausbildung im Bereich Pharmazie an. Werden Sie die übrigen Uni-Gebäude verkaufen, um dadurch einen Eigenbeitrag zur Schuldentilgung zu leisten?
Ich glaube nicht. Wir benötigen das Land und die Gebäude, um unser College aufzubauen, das dann später nicht nur Pharmazie, sondern auch Jura, Diakonie mit Diplomabschluss, Musik und weitere Fachbereiche anbieten soll. Die Genehmigung der Regierung liegt bereits vor.

Die ELCT feierte unlängst in Arusha ihr 60-jähriges Jubiläum. Ehrengast war Staatspräsidentin Samia Suluhu Hassan. Haben Sie mit ihr über ihre Finanzlage gesprochen? Ist sie als Muslimin bereit, sich für eine in Not geratene christliche Diözese einzusetzen?
Ja, unsere Präsidentin ist eine sehr gute Frau. Ich habe persönlich mit ihr über unsere Situation gesprochen und sie war bereit, als Ehrengast an unserer Benefizveranstaltung in Daressalam teilzunehmen und auch selbst etwas zu spenden. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie als Präsidentin unsere Schulden übernehmen wird. Dafür sind wir schon selbst verantwortlich. Leider musste Samia Suluhu Hassan in Daressalam zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn absagen. Dafür schickte sie aber in Vertretung den Regional Commissioner von Dar.
 

Sie hielten sich Ende September einige Tagen in Bethel auf. Haben Sie mit der Leitung der von Bodelschwinghschen Stiftungen über eine mögliche finanzielle Unterstützung, über einen Neuanfang gesprochen?
Ja, ich hatte Gespräche mit Kathrin Steinkamp, der Ökumene-Beauftragten der von Bodelschwinghschen Stiftungen, und mit verschiedenen deutschen Partnergemeinden von Kirchengemeinden in Tansania. Sie versprachen, nach Möglichkeiten zu suchen, um uns bei der Schuldentilgung beziehungsweise bei der Entwicklung der Diözese zu unterstützen. Ich bewerte das sehr positiv.

Führen Sie auch Gespräche mit den Missionsgesellschaften oder mit der deutschen Kirchenleitung?
Ja, ich werde auch mit der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) sprechen und mit der Evangelischen Kirche von Westfalen.
 

Haben Sie eine abschließende Botschaft an die vielen Freunde von Lutindi und an die evangelischen Kirchenmitglieder in Deutschland?
Ich verspreche, dass Lutindi bleiben wird. Niemand kann unser Lutindi verkaufen oder kaufen. Aber über jede Unterstützung würde ich mich sehr freuen. Unsere Partnerschaft wird immer sehr stark sein!

Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, Sie als einen wichtigen Repräsentanten der ELCT zu fragen, wie Sie aktuell das Verhältnis der evangelischen Kirche zur Regierung bewerten.
Das Verhältnis der ELCT zur tansanischen Regierung ist sehr gut. Sollte es irgendwelche Probleme geben, kann ich mich sofort direkt an den Premierminister in Dodoma wenden und mit ihm über das Problem diskutieren. So fuhr ich zum Beispiel zu ihm, um über die Zukunft unseres Colleges zu sprechen. Er versprach seine Unterstützung, ermahnte uns aber gleichzeitig auch, erst einmal unsere alten Schulden zu tilgen. Die Beziehung zur Regierung ist sehr sehr gut.

Glauben Sie, dass sich Tansania gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch auf einem guten Weg befindet?
Tansania entwickelt sich tatsächlich sehr gut. Weil unsere Demokratie sehr gut ist – vor allem im Vergleich mit unseren Nachbarstaaten. Im Bereich der Wirtschaft unternimmt unsere Staatspräsidentin gegenwärtig sehr viel. Nehmen wir nur das Beispiel, wie sie gerade versucht, unsere Jugend für die Landwirtschaft zu gewinnen. Auf der politischen Ebene unterstützen wir die Bestrebungen zu einer Verfassungsreform. Ich kann nicht sagen, wie schnell und wann die Reform kommen wird, aber der Weg dorthin hat schon begonnen. Wir befinden uns insgesamt auf einem guten Weg und ich sehe die Entwicklung unseres Landes sehr optimistisch.

Bischof Mbilu, ich bedanke mich für das Gespräch!
(Das Gespräch führte Rudolf Blauth Ende September 2023 in Bielefeld)
 



Empfehlung eines Buchprojekts mit Dr. Msafiri J. Mbilu:
 

Hermann Schulz, "Simba Akikuuliza Saa" (in Kisuaheli)
Übersetzung des mehrfach preisgekrönten Jugendbuches "Wenn Dich der Löwe nach der Uhrzeit fragt" (Deutscher Jugendhörbuchpreis u.a.) durch Ute Litschel und Dr. Msafiri J. Mbilu
Herausgeber: Freundeskreis Bagamoyo e.V.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2010 (2. Auflage), 98 S., 11 EUR
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