Fabjan Hafner im Spectrum vom 11.3.06

Einprägsame und suggestive Bilder

Die Morgenlandfahrer und Afrikareisenden sind in der deutschsprachigen Literatur von Karl May bis Hermann Hesse prominent vertreten. Neuerdings haben sie von Josef Winkler bis Thomas Stangl auch Gesellschaft aus Österreich bekommen. So weit und verschlungen wie Ilija Trojanows Wege zum Deutschen waren ihre nicht. Auch nährten sich ihre Ausführungen aus physischer und psychischer Distanz zum Gegenstand ihrer Darstellung; ein paar Stippvisiten des einen oder anderen fallen da nicht ins Gewicht. Ihrer aller Blick bleibt ein vom Fremden faszinierter, der sich gerade dem inneren Sicherheitsabstand verdankt, aus dem bald souveräne Abgeklärtheit, bald feurige Begeisterung sich speisen.

Ilija Trojanow wurde 1965 in Bulgarien geboren, aus dem er mit seinen Eltern floh. Zwar erhielt die Familie in Deutschland politisches Asyl, und Deutsch wurde Trojanows Schreibsprache, doch seine Jugend verbrachte er in Kenia, wo er eine deutschsprachige Schule besuchte. Nach einem Jahrzehnt in Zentralafrika zog er für fünf Jahre nach Bombay um und lebt seit 2003 im südafrikanischen Kapstadt. Dieser Biografie verdankt er unter anderem sein neutrales und doch fremdes Deutsch: Es ist ebenso musikalisch wie geschmeidig, ebenso klar wie knapp. Aus der Perspektive des von außen Hinzugekommenen stehen Trojanow Abstand und Leidenschaft gleichermaßen zu Gebote; früh entwurzelt hat er eine besondere Fähigkeit zum Sichbeheimaten entwickelt. Sein Schreiben zeichnen Sympathie für seinen Gegenstand, ein wacher, kritischer Geist und ein nachgerade klassischer Sinn für Proportionen aus.

So kommen verschiedene Standpunkte zu ihrem Recht. Trojanow findet einprägsame, suggestive Bilder, erzählt dabei aber weder eindeutig noch lückenlos. Sein Ziel ist keine Rekonstruktion, er wähnt sich nicht im Besitz von Wahrheiten. Und doch ist sein historischer Roman wohlfundiert in der Wirklichkeit. Nicht nur hat der Autor Jahre der Recherche in Indien, "Arabien" und Zentralafrika zugebracht. Er hat auch die Sprachen der Einheimischen studiert und sich mit den Kulturen vertraut gemacht. Schließlich ist er zum Islam konvertiert; für den weit gereisten Wanderer durch Kontinente und Kulturen kein unüberlegter, sondern ein gründlich vorbereiteter Schritt.

Auch dem vorliegenden Roman sind Vorstudien vorangegangen, die belegen, wie skrupulös und minuziös der Autor sich an seine Stoffe herangetastet hat. Diese allesamt nichtfiktionalen Werke heißen "Der Sadhu an der Teufelswand. Reportagen aus einem anderen Indien", "An den inneren Ufern Indiens - Eine Reise entlang des Ganges" und "Zu den heiligen Quellen des Islam - Als Pilger in Mekka und Medina" und laden den Leser ein, sich weiter einzulassen auf eine Erkundung, die ganz folgerichtig im Hier und Jetzt münden muss.

Trojanows Protagonist ist indes eine historische Figur: Richard Burton, Sir Richard Francis Burton (1821-1890), britischer Soldat in Kolonial-Indien, der - zuerst im Dienst unterfordert, dann beflügelt von seinem Faible für die Einheimischen, ihre Sitten und Gebräuche, für das Andere überhaupt - zum Beobachter wird, den es immer stärker zu dem, was er hört und sieht, hinzieht. Burton führt Buch; verfasst Bücher - Reiseberichte. Und übersetzt: das Kamasutra und die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Von Burtons Übersetzertätigkeit offenbar inspiriert, gelingen Trojanow sinnlich kluge Beschreibungen der Begegnungen von Mann und Frau zwischen Annäherung und Abwendung, Hingabe und Zurückhaltung, die in der neueren deutschsprachigen Literatur ihresgleichen suchen.

Von Indien führt Burtons Weg - wobei sich Trojanow zusehends von seinem historischen Vorbild löst - im Wiegetakt einer Pilgerkarawane nach Mekka und Medina, und das zu einer Zeit, als Andersgläubigen der Zugang zu den Heiligtümern des Islam streng verwehrt war. Sieht man die Gesamtanlage des Buches als Sonate, so ist dieser mittlere, langsame Satz der Seele und der Religion geweiht, wohingegen der erste Leib und Geist gewidmet war. Im dritten geht es um Quellenforschung, und zwar im Wortsinn: um die im 19. Jahrhundert noch geheimnisumwitterten Quellen des Nil. Von Sansibar aus macht sich eine Expedition auf den Weg ins Landesinnere, wobei Burton nach Qualen und Widrigkeiten gemeinsam mit John Hanning Speke den Tanganjikasee entdeckt, den er fälschlich für die gesuchte Nilquelle hält. Speke ist Burtons ins Negative gewendetes Spiegelbild: der arrogante Kolonialist, der sich in übelster Militärmanier zunächst in einer großen Geländetaufe auslebt. Wohl nicht zufällig mündet die Erzählung schließlich in den Victoriasee, dessen späteres Schicksal aus Hubert Saupers "Darwins Albtraum" bekannt ist.

Trojanow erzählt spannend und pointiert, nimmt die Traditionen der jeweiligen Landschaften gekonnt auf. Seine handwerklichen Fähigkeiten geraten nie zum Selbstzweck. Eindringlich gelingt es ihm in vielstimmigen, kurzen - man möchte sagen: mundgerechten - Kapiteln, zwischen personaler und auktorialer Perspektive wechselnd, Innen- und Außensicht einander gegenüberzustellen, ohne sich zu kommentierenden oder interpretierenden Anmerkungen zu versteigen. Im ersten und im dritten Teil sind die Ich-Erzähler einheimische Diener, gemäß dem Diktum, dass Ich-Erzähler niemals die Helden sein dürften. Im Mittelteil lauschen wir einer vielstimmigen Zeugenrede in einem Gerichtsverhör. Das Rätsel Burton bleibt eines; umso mehr muss auch das Andere auf immer anders bleiben: nur zu ahnen, nie zu fassen.

In einer Coda stellt der Autor die Frage nach dem Glück, indem er Erotik und Religion engführt: Burton liegt, inzwischen Diplomat der britischen Krone, sterbend in Triest. Seine Frau will, aufgrund seiner Beschneidung wissend um die Konversion ihres Gatten, auf die katholischen Sterbesakramente nicht verzichten. Dem Priester, der pflichtgem den Sterbenden versieht, kommen Zweifel, er sucht das Gespräch mit dem Bischof. Ihr Schlussdialog ist ein menschliches, unpathetisches Plädoyer für - nicht nur, aber auch religiöse - Toleranz.

Der Verlag, dazu ist ihm zu gratulieren, hat sich wohl etwas dabei gedacht, einen Hinweis auf die augenfälligen Parallelen zwischen den Biografien von Protagonist und Autor zu unterlassen und es dem Leser anheim zu stellen, Schlüsse zu ziehen. Das trifft auf das ganze Buch zu: So behutsam besorgt um die jeweilige Eigenart hat noch kein deutsch geschriebener Text gleich drei Welten gezeichnet und damit auch seine Leser zu Weltensammlern gemacht.