Die Eskalation eines alten Konflikts

Zu den jüngsten Auseinandersetzungen mit den Massai im Loliondo-Gebiet

„Die Massai sollen vertrieben werden!“ - solche oder ähnliche Schlagzeilen tauchen seit Wochen immer wieder in den deutschsprachigen Medien auf.

Tatsächlich gibt es in Tansania einen viel beachteten Konflikt zwischen den Massai als den „Ureinwohnern“ oder „Indigenen“ Tansanias und der tansanischen Regierung. Dabei scheinen die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt. Doch ganz so einfach ist es nicht!

Tatsächlich handelt es sich um eine komplizierte Auseinandersetzung im Spannungsfeld 'Minderheitenrechte / Tier- und Naturschutz, Ökologie'. Um den Konflikt wirklich zu verstehen, ist eine etwas differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema sehr hilfreich.
 

Sind die Massai tatsächlich die Ureinwohner Tansanias?

Entgegen den Behauptungen mancher Menschenrechtsgruppen handelt es sich bei den Massai nicht um die Ureinwohner Tansanias. Als sie im 18. Jahrhundert aus dem Südsudan in das Gebiet des heutigen Tansanias zogen, lebten dort bereits seit über 1.200 Jahren die seit dem 4. Jahrhundert aus Westafrika eingewanderten sogenannten Bantu-Völker.

Letztere trafen wiederum auf die tatsächlichen Ureinwohner Tansanias wie die Hadzabe, die nicht erst seit einer Studie des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena als die letzten Repräsentanten der Urbevölkerung gelten.

Die vom Aussterben bedrohte Volksgruppe lebt im wesentlichen vom Sammeln von Knollen und Früchten und besteht nach jüngsten Angaben nur noch aus etwa 1.300 Personen. Sie haben weder domestizierte Nutztiere noch bauen sie eigene Lebensmittel an oder lagern sie.
 

Die Hadza überleben, indem sie ihre Nahrung mit handgefertigten Bögen und Pfeilen jagen und nach essbaren Pflanzen suchen. Die Hadza-Nahrung ist hauptsächlich pflanzlich, besteht aber auch aus Fleisch, Fett und Honig. Sie bauen temporäre Unterkünfte aus getrocknetem Gras und Zweigen und besitzen nur wenige Besitztümer. Sie sprechen eine einzigartige Sprache, die als Hadzabe bekannt ist und Klick- und Knallgeräusche sowie bekanntere Töne enthält.

Gemäß ihrer eigenen Geschichte, die sie durch mündliche Überlieferung bewahren, leben die Hadza seit ihren ersten Tagen als einzigartige Gruppe in ihrer heutigen Umgebung am Lake Eyasi, der an die Ebenen der Serengeti grenzt. Dies ist relativ nahe an der Stelle, an der Homo habilis, einer der frühesten Hominiden, vor 1,9 Millionen Jahren lebte. Genetisch zeigen die Hadza eine der ältesten Linien des heutigen Menschen.
 

Sind die Massai die besten Naturschützer Ostafrikas?

Die Menschenrechtsgruppe 'Survival International' behauptet, dass die Massai die „Ureinwohner“ bzw. “Indigene“ Tansanias sind. Indigene Völker definiert die Organisation auf ihrer Homepage als „Nachfahren derer, die bereits dort waren, bevor andere – die jetzt die etablierte und dominierende Gesellschaft bilden – kamen“.

Die Massai seien daher als einzige in der Lage, das einzigartige Ökosystem der Serengeti, das sowohl den Serengeti Nationalpark als auch das Ngorongoro Wildschutzgebiet, die angrenzende Massai Mara in Kenia und weitere umliegende Schutzzonen wie das westliche Loliondo-Gebiet umfasst, zu schützen. Tatsächlich sind die halbnomadischen Massai als relativ spät eingewanderte Viehhirten jedoch primär an der Viehhaltung interessiert.

Ihre traditionelle Kultur dreht sich im wesentlichen um das Rind. Jeder männliche Massai sollte eigentlich nicht weniger als 50 Rinder besitzen. Ganz reiche Männer besitzen sogar bis zu 1.000 Rinder. Das Trinken von Rinderblut in Verbindung mit Milch ist das Grundnahrungsmittel der Massai. Sie jagen fast gar nicht und ernähren sich vor allem vom Fleisch ihrer zahlreichen Ziegen und Schafe.

Da das Bestreben der Massai-Männer traditionell auf eine Vermehrung ihrer Rinderherden ausgerichtet ist – viele Rinder bedeuten Reichtum und ermöglichen auch den prestigeträchtigen Kauf mehrerer Frauen – steht bei Ihnen der Erhalt des Ökosystems, aus dem sie ursprünglich nicht stammen, nicht im Vordergrund.
 

Die Vertreibung der Massai

In der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die Massai weit verteilt im Serengeti Ökosystem. Als sie nach der Gründung des Serengeti Nationalparks im Jahr 1951 große Teile ihrer Weideflächen und Wohngebiete verloren, galt die 1959 durchgeführte Ausgliederung der Gebiete um den Ngorongoro-Krater aus dem Nationalpark als weltweit gelobte Kompromisslösung: Im Ngorongoro Wildschutzgebiet waren die Natur und die Wildtiere mit ihrer großen Tierwanderung geschützt und den Massai wurde gleichzeitig die Besiedlung der Savanne mit ihren Tierherden gestattet. Den Massai-Hirten, der im Ngorongoro-Krater seine Rinderherde vor den Augen eines Löwenrudels zur Tränke treibt, haben viele Safari-Touristen auch noch Jahre später vor Augen.

Die Massai leben aber nicht nur im Ngorongoro-Schutzgebiet: Sie leben mit ihren Tierherden auch im Loliondo-Gebiet und in der Massai-Steppe. Erste Rinderherden wurden sogar schon weit im Süden am Selous gesichtet.

Im Loliondo Gebiet, dem Ort der gegenwärtigen Auseinandersetzungen, leben die Massai allerdings nicht alleine: Hier leben auch die Halbnomaden der Sonjo, ethnische Gruppen der Chagga und Warusha, hier gibt es die Stadt Loliondo, Dörfer, Landwirtschaft, Handwerk und bereits seit Jahrzehnten ein großes, von der Regierung an Ausländer verpachtetes Jagdgebiet. Dies führte im Loliondo Gebiet zwangsläufig immer wieder zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen Interessen.
 

Die Bedrohung des Ökosystems durch die Viehhaltung der Massai

Im Laufe der letzten 63 Jahre nach Gründung der Schutzgebiete hat sich die Situation des weltweit einmaligen Serengeti Ökosystems dramatisch verschlechtert. Nicht nur die Zahl der Rinder ist angestiegen, vor allem auch die Zahl der Ziegen und Schafe der Massai. Die Gesamtzahl der Weidetiere wird aktuell auf 800.000 geschätzt.

Da das soziale Prestige eines Massai-Mannes primär von der Zahl seiner Rinder und seiner Frauen bestimmt wird, gibt es für ihn keine aus ökologischen Gründen definierte 'rote Linie' bei der Anzahl seiner Tiere.

Allerdings ist die Überweidung inzwischen derart fortgeschritten, dass alleine schon wegen des fehlenden Grases – und natürlich auch aufgrund der ständig wachsenden Bevölkerungszahl - die Anzahl der Tiere (ohne Esel) pro Person von 11,6 (1959) bereits im Jahr 2017 auf 2,3 gesunken war.

Eine zunehmende Besiedelung und Überweidung der Savannen im Ngorongoro Schutzgebiet und in dem für die Tierwanderung wichtigen westlichen Teil des Loliondo-Gebiets führt zwangsläufig zur Gefährdung der 'Great Migration', deren Verlauf seit Jahrhunderten durch das in den Regenzeiten wachsende Gras des gesamten Ökosystems bestimmt wird und schon durch die befürchtete Austrocknung des Mara River bedroht ist.

Große Teile der Erdoberfläche der Savanne sind durch die Tierherden bereits zerstört, auch in der Regenzeit wächst das Gras kaum noch nach. Hierzu trägt auch die Einführung einer Schafrasse bei ('Blackhead Persian sheep', eingeführt von den Massai aus Somalia), die sich nicht mehr mit dem herkömmlichen Abgrasen begnügt, sondern auch Graswurzeln herausreißt, was wiederum die Bodenerosion fördert.

Obwohl als Halbnomaden bekannt, befestigen immer mehr Massai ihre Häuser. Einige versorgen ihre Häuser inzwischen mit Strom. Die Anzahl der in der Region lebenden Massai soll sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre verzehnfacht haben. Das ursprünglich von allen Seiten begrüßte Konzept eines nachhaltigen Zusammenlebens von Mensch (Halbnomaden), Wild- und Weidetier droht zu scheitern.
 

Massai contra 'Arabische Scheichs'

Der bereits kaum lösbare Konflikt zwischen den Bemühungen zum Erhalt des Ökosystems und der Schaffung von Lebensräumen für die traditionell lebenden Massai wird noch dadurch angeheizt, dass der östliche Teil des Loliondo Gebiets erneut an das Jagdunternehmen 'Ortello Business Corporation' (OBC) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten verpachtet werden soll. Der aktuelle Stand der Verhandlungen ist derzeit ziemlich unklar.

Rot gekleidete Massai contra weiß gekleidete arabische Scheichs: Hier entsteht ein farbenprächtiges und klischeebeladenes Bild, dem die tansanische Regierung in den Medien auch durch noch so viele Pressemitteilungen nicht entkommen kann. Und die überhaupt nicht waidgerechte Jagd der arabischen Pächter auf wilde Tiere, offensichtlich ohne Sinn und Verstand aus fahrenden Geländewagen oder sogar aus Helikoptern, schwächt die Position der Regierung sehr.

Letztere macht in ihren Stellungnahmen zwar darauf aufmerksam, dass das Loliondo Gebiet schon seit Jahrzehnten in seiner gesamten Größe als Jagdgebiet verpachtet war. Doch vergeblich wirbt die Regierung um die Anerkennung ihres Konzepts, wonach das bisher praktizierte schwierige Zusammenleben von Massai, Nicht-Massai und Jägern zu Gunsten der Massai entzerrt und ihnen (bis auf die westliche Schutz- und Jagdzone) der wesentlich größere östliche Gebietsanteil ohne Jagderlaubnis für Großwildjäger exklusiv zur Verfügung gestellt werden soll.

Tatsächlich besaß OBC bereits von 1992 bis 2017 eine Jagdlizenz für 400.000 ha im Loliondo Gebiet. Dies würde auf Beschluss der Regierung nun auf 150.000 ha reduziert.

Tansanische Juristen machen in diesem Zusammenhang immer wieder darauf aufmerksam, dass es in ihrem Land überhaupt keinen Privatbesitz an Grund und Boden gibt und dass daher die Übertragung der Landrechte des größten Teils des Loliondo-Gebiets (250.000 ha) an die Massai ein einzigartiges Privileg ist, das bislang noch keiner der insgesamt 120 Volksgruppen Tansanias eingeräumt wurde.
 

Die Massai wiederum sind der Meinung, dass sie mit der Abtretung der Weide- und Wohngebiete im Serengeti Nationalpark und den eingeschränkten Nutzungsrechten im Ngorongoro Wildschutzgebiet bereits einen ausreichenden Beitrag zum Erhalt des Ökosystems geleistet haben. Die drastisch angestiegene Bevölkerungszahl und die Zahl ihrer Rinderherden sind aus ihrer Sicht kein unlösbares Problem – zumal die Bevölkerungszahl bei allen Ethnien Tansanias explodiert (abgesehen von den Ureinwohnern).

Die Massai beklagen zudem, dass es im Loliondo-Gebiet seitens der Regierung immer wieder Übergriffe auf ihre Siedlungen (Bomas) gegeben habe. Alleine 2015 seien 144 Häuser niedergebrannt und 2017 insgesamt 185 Bomas zerstört worden.

Der von vielen neutralen Beobachtern grundsätzlich durchaus positiv bewertete Lösungsansatz der tansanische Regierung, "150.000 ha für ein deutlich verkleinertes Schutz- und Jagdgebiet und 250.000 ha erstmals exklusiv für die Massai", wird durch ein weiteres Glaubwürdigkeitsproblem geschwächt:

Die Pachtgebühr für die arabischen Jäger soll zwar relativ niedrig sein, dafür müssen die Pächter aber wohl relativ viel Geld in die Infrastruktur des Loliondo Gebiets stecken: Investitionen in Höhe von 50 Millionen USD sind im Gespräch. Doch für Außenstehende ist bislang überhaupt nicht transparent, wie dieser Geldtransfer und die Verwendung der Gelder konkret erfolgen soll. Erst vor wenigen Jahren wurden mehrere prominente Politiker in dieser Angelegenheit wegen Korruption angeklagt. Außerdem fand bislang noch keine öffentliche Ausschreibung für die Vergabe der Jagdlizenz statt.
 

Die Eskalation des Konflikts im Sommer 2022

Im Sommer 2022 eskalierte dann der Konflikt: Nachdem die Regierung das neue, im westlichen Teil des Loliondo-Gebiets gelegene Jagd- und Schutzgebiet abgemessen und mit Pfählen markiert hatte, entfernten kurz darauf die Massai die Pfähle. Es kam ganz offensichtlich zu einem äußerst harten Einschreiten der Polizei, zum Einsatz von Tränengas und zum Widerstand der Massai.

Zuerst wurde ein Polizist durch den Pfeil eines Massaikriegers getötet. Anschließend kam nach Angaben der Massai einer ihrer Leute durch die Polizei ums Leben, es wird von mehreren Verletzten berichtet. Der getötete Polizist wird von einigen ausländischen Menschenrechtsgruppen nicht erwähnt. Die Regierung bezeichnet den Tod des Massai ihrerseits als „Unfall“. Beide Seiten sind empört. Unabhängige Beobachter gibt es leider nicht.
 

'Survival International': „Das Naturschutzmodell beruht auf Rassismus“

Vor allem die bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland weitgehend unbekannte Menschenrechtsorganisation 'Survival International' schaffte es, „die gewaltsame Vertreibung der Massai“ in die Schlagzeilen der Medien zu bringen. Die eindringlichen Fotos von blutenden Massai-Männern in ihrer traditionellen roten Kleidung knüpften an das noch aus Kolonialzeiten stammende Klischee der 'Indianer Afrikas' an.

In den Texten von 'Survival International' sind die Massai die „Ureinwohner Tansanias“, die schon immer in der Serengeti gelebt haben und als Indigene am besten in der Lage sind, mit ihrer traditionellen Lebensweise das Ökosystem zu schützen. Zitat: „Diese Gebiete sind heute wichtige Naturschutzgebiete, weil die ursprünglichen Bewohner*innen ihr Land und ihre Tierwelt so gut gepflegt haben“.

Die Organisation nutzt den Konflikt in Tansania für einen völlig undifferenzierten Rundumschlag gegen das angeblich „kolonialistische Nationalparkkonzept“ und gegen die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF), die sich mit Unterstützung unzähliger Spenderinnen und Spender und mit Unterstützung der Bundesregierung seit Jahrzehnten intensiv um den Erhalt des Ökosystems Serengeti bemüht – inklusive der Initiierung und Förderung sozialer Projekte in den angrenzenden bevölkerungsreichen Nachbarregionen.

'Survival International' spricht von einem „Festungsnaturschutz“ und bezeichnet die ZGF, den World Wide Fund For Nature (WWF), die Wildlife Conservation Society und die NGO 'African Parks' als „Täter“. Auf ihrer Homepage unterstellt 'Survival International' der ZGF sogar, dass sie Wildhüter und Mitarbeiter der Naturschutzbehörde unterstützt, die in die Vertreibung verwickelt waren. 'Survival International' leitet daraus Aussagen ab wie: „Das vorherrschende Naturschutzmodel beruht auf Rassismus und Kolonialismus“.
 

Vermutlich stark übertrieben scheint auch die von einigen Menschenrechtsorganisationen angegebene Zahl von 70.000 Massai, die von einer Vertreibung aus dem neuen Wildschutz- und Jagdgebiet in Loliondo betroffen sein sollen. In einigen deutschen Medien ist sogar von „über 150.000 umgesiedelten Massai“ die Rede, was sich vermutlich aber eher auf die Gesamtbevölkerung von Loliondo bezieht.

Nach Angaben unabhängiger Beobachter und Experten beläuft sich die Zahl der bislang in den wenigen Siedlungen im östlichen Loliondo Schutz- und Jagdgebiet lebenden Massai allenfalls auf 10.000 Menschen, die vor allem in den vier Siedlungen Ololosokwan, Oloirien, Kirtalo und Arash leben. Aber natürlich ist die Zahl der Betroffenen an sich kein Kriterium für Richtig oder Falsch.

Zwar protestierte auch die bereits seit Jahrzehnten in Deutschland arbeitende und in der Öffentlichkeit angesehene Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit einer Kundgebung in Berlin gegen das gewaltsame Vorgehen der tansanischen Regierung – jedoch ohne Verwendung von Klischees und ohne Rundumschlag gegen den organisierten Tier- und Naturschutz in Ostafrika. Gleiches gilt für Amnesty International, das die Freilassung aller inhaftierten Massai gefordert und die Einrichtung der Wildschutzzone als „Menschenrechtsverletzung“ bezeichnet hat.

Die ZGF wiederum appellierte sowohl an die Massai als auch an die Regierung, „den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen“. Sie schreibt: „Es muss konstruktive Gespräche geben und alle Seiten müssen gehört werden, wenn es um solche Landkonflikte geht. Aber Gewalt darf keine Option sein.“
 

Wie kann das Problem gelöst werden?

Bislang ist für das komplexe und schwierige Problem tatsächlich noch keine Lösung in Sicht, die sowohl dem Erhalt des einmaligen Weltnaturerbes mit der Großen Tierwanderung und dem Erhalt von circa 800.000 Arbeitsplätzen im gesamten Umfeld des Tourismusbereiches gerecht wird als auch dem Recht der Massai auf eine halbnomadische Lebensweise.
 

Ein Redakteur der kritischen tansanischen Tageszeitung 'The Citizen' spricht in einem Kommentar von einem Konflikt, „in dem mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht“. Die Regierung könne sich nicht länger „als unparteiischer Akteur ausgeben und sollte ihren Kurs ändern“. Es sei an der Zeit, „dass der OBC-Vertrag (mit den arabischen Pächtern, d. Red.) in Loliondo gekündigt wird“. Die Regierung müsse sich „von ihren derzeitigen Verstrickungen mit OBC distanzieren“. Darüber hinaus „sollten alle Entwicklungen gestoppt werden, die darauf abzielen, die Massai von Loliondo zu verdrängen.“ Es gäbe bessere Alternativen.

Der tansanische Journalist fordert ein Umdenken der Regierung - aber auch ein Umdenken bei den Massai. Er schreibt: „Es müssen Schritte unternommen werden, um die nomadische Viehzucht in Tansania zu beenden. Dies kann erreicht werden, indem Viehhirten bei der Modernisierung ihrer Viehhaltungspraktiken unterstützt werden. Dies wird für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation sein. Wenn man solche Schritte jetzt nicht unternimmt, wird dies in Zukunft zu einer Katastrophe führen.“
 

In vielen europäischen Zeitungen wird der Loliondo-Konflikt vermengt mit der Situation im benachbarten Ngorongoro Wildschutzgebiet (NCA), dem Geburtsort von jährlich mehreren hunderttausend Gnus. Dort hat die Regierung den Massai, circa 400 km Luftlinie entfernt, gut ausgestattete Dörfer im Osten der Massai-Steppe angeboten, inklusive Ländereien. Einige Hundert Massai aus dem NCA sollen von diesem Angebot bereits freiwillig Gebrauch gemacht haben. Die Regierung wird von der UNESCO für diese Maßnahme zum Schutz des Welterbes Ngorongoro gelobt.

Doch wie aussichtsreich sind solche Projekte - bezogen auf die Mehrheit der in diesem Ökosystem lebenden Massai, die weiterhin halbnomadisch leben wollen?
 

Die 'Afrikanische Kommission für Menschen- und Völkerrechte' hat die Regierung aufgerufen, die Pläne für das Wildreservat noch einmal zu überprüfen und die betroffenen Gemeinden zu konsultieren.

Unabhängige Beobachter schlagen unter anderem die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission vor, um Menschenrechtsverletzungen, rechtswidrige Verhaftungen und Zwangsräumungen aufzuklären. Gegen die Täter von beiden Seiten müsse Anklage erhoben werden. Journalisten sollten die Genehmigung erhalten, in das Loliondo-Gebiet einzureisen und die Verfassungsklage gegen den Pächter OBC beim tansanischen High Court müsse beschleunigt werden.
 

Markus Borner, der legendäre und inzwischen verstorbene ehemalige Vertreter der ZGF in der Serengeti, war bereits im Jahr 2013 der Meinung, dass zur Lösung des Konflikts „die Massai noch mehr vom Tourismus und von der Natur profitieren müssen. Nur so kann bei ihnen Verständnis für den Verzicht auf den Bau einer Straße durch die Serengeti oder für die bereits genannten nationalen und internationalen Prioritäten des Tier- und Naturschutzes erzeugt werden”.

Auf die Frage “Was wünschen Sie sich ganz persönlich?” antwortete Borner in einem Interview: “Mehr Verständnis für die Massai, mehr Verständnis für die Entscheidung der Regierung.”
 


Ein ungelöster Konflikt seit 25 Jahren

Auszüge aus einem Interview der 'Tansania News' mit dem Vertreter der ZGF in der Serengeti, Markus Borner, im Mai 2013:

Frage: Herr Dr. Borner, es wird gesagt, dass die Regierung den Massai das Land wegnehmen und arabischen Jagdgesellschaften überlassen will.
Die Gegend, um die es bei dem Konflikt geht, ist schon seit vielen Jahrzehnten 'Game Controlled Area', also Jagdgebiet. Es ist ein Jagdgebiet schon seit der Gründung des Serengeti Nationalparks. Das hat neben den traditionellen Bewirtschaftungsmethoden der Massai auch immer ganz gut geklappt. Darum geht es also nicht wirklich. Es geht darum, Biodiversität, also biologische Vielfalt, mit dem Leben der Massai zusammen zu führen. Ich selbst habe über 15 Jahre lang diese Diskussion geleitet.

Die Massai sollen also gar nicht vertrieben werden?
Nein, der Vorwurf einer geplanten Vertreibung der Massai ist nicht korrekt. Tatsache ist, dass der von mir genannte Konflikt über Jahre nicht gelöst werden konnte. Daraufhin hat jetzt die Regierung gesagt: Wenn die Gespräche kein einvernehmliches Ergebnis finden, dann schlagen wir selbst etwas vor: 1500 qkm der heutigen 'Game Controlled Area' sollen weiterhin vor allem für die Wildtiere und die Erhaltung der Biodiversität geschützt werden. Landwirtschaft ist hier untersagt. Die restlichen  2500 qkm werden ohne Einschränkungen zur Landnutzung an die örtlichen Gemeinschaft übergeben.

Was haben denn die Massai gefordert?
Sie wollen das volle Recht über alle Nutzungsmöglichkeiten in den gesamten 4000 qkm.

Was entgegnet ihnen die Regierung?
Dass es Prioritäten geben muss. Es gibt selbstverständlich die lokalen Prioritäten der Massai. Es gibt aber auch nationale Prioritäten. Und es gibt internationale Prioritäten. Und die überörtlichen Prioritäten sind die Erhaltung der Biodiversität und der Schutz der Migration, der großen Tierwanderung.
 

Die Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Massai einsetzen, erkennen nicht die Komplexität und Widersprüchlichkeit des Konflikts?
Sie unterstützten die Position, wonach ausschließlich die Massai über dieses große Gebiet zu entscheiden haben.

Sie halten also die Position der Regierung für vernünftig?
Sie ist sehr vernünftig und weist einen Weg nach vorne. Es geht ja nicht darum, das Gebiet des Serengeti Nationalparks zu vergrößern. Selbstverständlich muß den Massai weiterhin die Möglichkeit gegeben werden, in der Trockenzeit ihre Kühe auch in das 1500 qkm große Schutzgebiet zu treiben.

Einige Menschenrechtsorganisationen malen auf ihren Homepages ein Bild von den Massai als 'afrikanische Indianer', die von Natur aus sehr nachhaltig für den Erhalt der Tierwelt und der Natur eintreten.
Diese Bild ist genauso wie das Indianerbild viel zu idealistisch. Richtig ist, dass es eine gute Nachbarschaft gibt zwischen den Massai und dem Serengeti Nationalpark. Die Massai sind tolerant zu den Wildtieren. Solange ihre Kühe genug Gras finden, sind sie auch ein guter Partner im Naturschutz.

Sie werden auch als die 'Ureinwohner Tansanias' bezeichnet, die eines besonderen Schutzes bedürfen.
Das ist nicht richtig, ganz im Gegenteil. Die Massai sind erst vor 200-300 Jahren nach Tansania eingewandert und haben die Ureinwohner des Landes wie z.B. die Hadzabe ('Buschmänner') verdrängt. Daher ist das Pochen auf indigene Rechte falsch. Die Massai sind nicht viel länger im Land als die Deutschen. Außerdem muss man wissen, dass die Massai, obwohl sie zu den letzten Einwanderern gehören, trotzdem in Tansania einen Sonderstatus genießen: Im Ngorongoro Wildschutzgebiet dürfen ausschließlich die Massai leben, sonst niemand. Das verstößt im Prinzip sogar gegen die Grundrechte der Tansanier.

Könnte man sagen, dass eine Funktionalisierung der Massai, die sich ja sehr mediengerecht darstellen lassen, durch einige Menschenrechtsorganisationen erfolgt?
Das ist mit Sicherheit so. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt ist in diesem Gebiet als einzige Naturschutzorganisation vertreten. Die Massai werden hingegen von 47 Menschenrechtsorganisationen unterstützt. Es sind sehr schöne, große Menschen und passen gut ins Bild.
 

Welchen Beitrag kann die ZGF zur Lösung des Konflikts mit den Massai leisten?
Es ist eine sehr schwierige Situation. Lange Zeit haben wir in dem Konflikt vermittelt. Die ZGF kann aber nur das machen, was die Leute von uns wollen. Zur Zeit ist eine Mitwirkung der ZGF nicht gefragt, grundsätzlich stehen wir aber zur Verfügung. Ansonsten startet in diesem Jahr ein auf fünf Jahre angelegtes großes KfW-Projekt in Kooperation mit der ZGF. Wir wollen helfen, das Gebiet aufzubauen. Die Massai müssen noch mehr vom Tourismus und von der Natur profitieren. Nur so kann bei ihnen Verständnis für den Verzicht auf den Bau einer Straße durch die Serengeti oder für die bereits genannten nationalen und internationalen Prioritäten des Tier- und Naturschutzes erzeugt werden.

Was wünschen Sie sich ganz persönlich?
Mehr Verständnis für die Massai, mehr Verständnis für die Entscheidung der Regierung.