Interview mit Donatius Kamamba: „Die Situation in Stone Town Zanzibar ist sehr komplex“

Denkmalschutzexperte Uli Malisius im Gespräch mit Donatius Kamamba (Director of Antiquities Tanzania 2005-2017 und seit 2019 Mitglied im Beratungsteam der Regierung für Stonetown Zanzibar)

Uli Malisius: Donatius Kamamba, als ehemaliger Director of Antiquities sind Sie mit den Denkmalstätten auf dem Festland bestens vertraut. 2019 wurden Sie von der Regierung Sansibars in einen beratenden Ausschuss berufen, in das sogenannte 'Cross Cutting Task Team', um die Denkmalschutzbehörde von Sansibar (Stone Town Conservation & Development Authority STCDA) in allen Fragen zu beraten, die sich mit den Empfehlungen der UNESCO befassen. Sie kennen daher die jüngsten Entwicklungen und Probleme in Stone Town ganz genau. Wie ist Ihr allgemeiner Eindruck von der aktuellen Situation?
Donatius Kamamba:
Die Situation in Stone Town Zanzibar ist sehr komplex. Es gibt gleich mehrere Probleme. Erstens die Verwaltung mit überlappenden Managementsystemen für die Erhaltung und Entwicklung von Stone Town. Zweitens die Eigentumverhältnisse. Viele Gebäude gehören mehreren Eigentümern und jeder hat bezüglich Nutzung und Instandhaltung sein eigenes Interesse. Das erschwert das Management denkmalgerechter Gebäudeerhaltung und die Entscheidung darüber, was getan und was nicht getan werden sollte.

Wir reden hier sicher nicht über nur vereinzelte Gebäude?
Nein. Das dritte große Problem ist tatsächlich die hohe Anzahl an Gebäuden, die sich in einem schlechten Zustand befinden: insgesamt 2600 Häuser in Stonetown. Sie müssen erhalten und restauriert werden. Das ist eine überwältigende Situation für die Eigentümer und die STCDA. Das vierte Problem umfasst technische Fragen, die alles noch weiter komplizieren. Wir haben auf Sansibar und auf dem tansanischen Festland sehr gute Experten für Restaurierungen und für urbane Entwicklung. Aber alle haben unterschiedliche Visionen und unterschiedliche Handlungslinien - abhängig von ihrem jeweiligen Mandat. Wenn die Stadtverwaltung von Sansibar eine Erschließung in Stone Town will, hat die STCDA ihre eigenen Richtlinien. Aber auch die UNESCO hat Richtlinien, wie ein Weltkulturerbe entwickelt und erhalten werden sollte. Das ist sehr komplex.
 

Gibt es denn ein einheitliches Rechtssystem?
Es gibt mehrere Regeln und Rechtsvorschriften, die das Schutzgebiet abdecken. Es gibt das Gesetz der Stadtverwaltung von Sansibar und das Gesetz der STCDA. Diese Gesetze widersprechen sich zwar nicht, müssen aber immer aufeinander abgestimmt werden, damit sie keine Konflikte zwischen den Ausführenden verursachen.

Aufgrund zunehmender Konflikte und zu geringer Kontrolle in Stone Town hat die UNESCO die Aufnahme in die rote 'List of Heritage in Danger' mehrmals in Betracht gezogen, dies aber bisher nicht getan. Was sind die größten Herausforderungen zur Reduzierung von Konflikten, Problemen und Verfall der Altstadt?
Es ist wahr, dass es zunehmend Konflikte gibt und eine wirksame Kontrolle schwierig zu sein scheint. Aber eine Welterbestätte auf die Liste von 'Heritage in Danger' zu setzen, ist nicht immer eine gute Lösung, besonders für eine Stadt mit der Komplexität von Stone Town. Es gibt hier so viele mitwirkende Akteure und verschiedene Behörden mit unterschiedlichen Gesetzen. Das führt zu Konflikten. Rollen und Verantwortlichkeiten sind oft nicht klar definiert.

Für eine bessere Koordinierung wurde aber doch das 'Cross Cutting Task Team' (CCTT) eingerichtet?
Tatsächlich hat sich dadurch die Situation verbessert. Die wichtigsten Akteure sitzen jetzt an einem Tisch. Aber die von mir aufgeführten Herausforderungen und Konflikte sind nicht in kurzer Zeit zu lösen.
 

Wie haben Sie reagiert, als Sie von dem Einsturz am 'House of Wonders' hörten?
Der plötzliche Zusammenbruch hat uns alle überrascht. Der prekäre Zustand war allerdings mindestens schon seit 2012 bekannt, als große Teile der oberen Balkone auf der Rückseite des Gebäudes einstürzten. 2018 wurde ein umfassendes Restaurierungsprojekt gestartet, das von der Regierung des Oman unterstützt wurde.

Warum hat das so lange gedauert?
Die Arbeit an einem so herausragenden Gebäude im Welterbe braucht klar geregelte Verfahren. Es gab daher viele Diskussionen, um das  gewünschte Endergebnis sicherzustellen. Viele Fragen mussten mit dem World Heritage Committee (WHC), andere Fragen wiederum mit lokalen Experten oder Stakeholdern geklärt werden. Das alles brauchte viel Zeit. Das Welterbekomitee tagt nur einmal im Jahr, und es gab für die Restaurierung viele Anforderungen.

Aber haben die Verzögerungen nicht den Einsturz begünstigt?
Ich denke nicht. Der Einsturz ist vielleicht eher auf technische Gründe zurückzuführen, die insbesondere in Ländern wie Tansania auftreten, wo das Fachpersonal kaum Erfahrung mit der Restaurierung von historischen Gebäuden dieser Größe hat.
 

Beratungsmissionen aus dem Ausland kommen und gehen. Wäre es nicht besser, sich mehr auf die Ermächtigung und Qualifizierung des lokalen Personals und Managements zu konzentrieren?
Ja, das ist die allgemeine Beobachtung. Die nationalen Behörden als Verwalter des Weltkulturerbes müssen auf lokaler Ebene eine Lösung für einen Umsetzungsplan der UNESCO-Empfehlungen finden. Schwierig ist dabei die Tatsache, dass die Haushaltsjahre der UN-Gremien nicht mit dem tansanischen Haushaltsjahr übereinstimmen, das Mitte des Kalenderjahres neu beginnt. Auch sind die zur Verfügung stehenden Mittel im Haushaltsplans oft zu gering. Noch schlimmer ist aber, dass uns für einige der festgestellten Probleme oft keine lokalen lokalen Experten mit ausreichend Fachkenntnis zur Verfügung stehen. Daher wäre die Qualifizierung von lokalem Personal und Management ein wichtiges Element. Also: Internationale Empfehlungen sind ein wirklich notwendiges Instrument zur Verbesserung von Weltkulturerbestätten, aber das alleinige Verlassen auf die nationale Regierung reicht nicht aus – weder fachlich noch finanziell. Da könnte es manchmal helfen, wenn die internationale Gemeinschaft einspringt.
 

Kommen wir zu einem anderen Weltkulturerbe auf dem Festland: Kilwa Kisiwani/Songo Mnara. Aufgrund des Verfalls historischer Bauwerke und Vernachlässigung setzte die UNESCO die Stätte 2004 auf die rote "List of Heritage in Danger". Welche Maßnahmen haben Sie damals als verantwortlicher Director of Antiquities durchgeführt, damit Kilwa 2014 von dieser Liste wieder gestrichen werden konnte?
Ja, es stimmt, ich war damals verantwortlich. Wir stellten 2004 sofort einen Erhaltungsplan auf, in dem wir alle notwendigen Aktivitäten und Ressourcen skizzierten, um wieder von der Liste gestrichen zu werden. Wir wendeten uns an die internationale Gemeinschaft und baten um Unterstützung, die wir dann auch aus Frankreich sowie von der UNESCO und der Weltbank erhielten. Wir restaurierten Gebäude wie die Große Moschee, Malindi Moschee und Makutani Palace, konsolidierten Ruinen wie die Grabstätte des Sultans und befreiten sie von Bäumen und Pflanzen. Die Gereza Ruine an der Küste schützten wir durch Befestigungen und die Planzung von Mangroven besser gegen Wellenschlag und erreichten schließlich unser Ziel, Kilwa Kisiwani wieder von der 'List of Danger' zu entfernen.
 

Sie wurden in das wichtige World Heritage Committee berufen, das die UNESCO bei allen Entscheidungen über Welterbestätten berät. Welche Beobachtungen und Erfahrungen haben Sie bei der Arbeit im Ausschuss gemacht?
Ich war von 2007 bis 2013 Mitglied im Governing Council von ICCROM (International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property) - eine Lehreinrichtung, aber auch ein beratendes Gremium für das World Heritage Committee (WHC). Von 2012 bis 2014 war ich Mitglied des ICOMOS Executive Committee (International Council on Monuments and Sites), das sich weltweit mit Denkmälern und Stätten befasst und das Welterbekomitee berät. Und von 2015 bis 2019 war ich dann Mitglied im World Heritage Commitee (WHC), an dessen Sitzungen ich schon zuvor ab 2005 als Beobachter teilgenommen habe. Die Beratungsgremien und das WHC sind sehr gut organisiert bezüglich der Ausarbeitung von Empfehlungen und Entscheidungen. Es handelt sich um wirklich hervorragende internationale technische Ausschüsse, die sich immer bemühen, alle Interessengruppen einzubeziehen und nach intensiver Beratung und im Dialog zu einem Konsens zu kommen.

Wie waren ihre ganz persönlichen Eindrücke?
Ehrlich gesagt: Ich habe es wirklich genossen, Mitglied dieser wunderbaren Gremien zu sein. Konflikte können auftreten, wenn die staatlichen und kommunalen Behörden nicht mit den Empfehlungen einverstanden sind, hier sollte der Arbeitsprozess des WHC verbessert werden. Es braucht mehr Zeit und Gelegenheit, um einen Konsens mit der Behörden vor Ort zu erzielen – und zwar möglichst vor der Vorlage von Evaluierungsberichten beim WHC. Auch sollten in den Gremien bislang noch unterrepräsentierte Entwicklungsländer und Kontinente wie Afrika mit möglichst jungen Experten noch stärker vertreten sein. Nur so können sie internationale Erfahrungen sammeln.
 

Afrika ist einerseits in der Welterbeliste unterrepräsentiert. Andererseits hat es der Denkmalschutz beim dynamischen Modernisierungsbooms und Wachstum vieler afrikanische Großstädten nicht immer einfach. Glauben Sie, dass das WHC über ein angemessenes Verständnis und eine angemessene Strategie verfügt, um den spezifischen Herausforderungen der Kulturerbestätten auf dem afrikanischen Kontinent gerecht zu werden?
Afrika ist tatsächlich unterrepräsentiert. Aber es werden alle notwendigen Anstrengungen unternommen, um diese Kluft zu verringern. Dafür müsste man aber ein gemeinsames Verständnis über die Kriterien für die Aufnahme in die Welterbeliste entwickeln. Aufgrund von unnötigen Missverständnissen scheiterten manche afrikanischen Anträge. Der Africa World Heritage Fund wurde gegründet, um afrikanische Staaten bei der Aufnahme weiterer gut begründeter Nominierungen auf die Welterbeliste zu unterstützen. Ich sehe durchaus Licht im Tunnel beim Versuch, auch in Afrika Erhaltung von Welterbe einerseits und eine nachhaltige Entwicklung andererseits in Einklang zu bringen.

Das gilt auch für Sansibar?
Ja, auch Sansibar ist eine afrikanische Herausforderung. In Stone Town gibt es einige Projekte, von denen die Bevölkerung profitiert und die gleichzeitig den Erhalt historischer Strukturen gewährleisten. Gute Beispiele sind die Sanierung des Gebäudes Darajani Chawl, die Sanierung des Entwässerungssystems und das von der Weltbank unterstützte Projekt zur Sanierung und Gestaltung der Küstenstraße zwischen Hafen und Forodhani Garden. Zuerst standen viele Menschen diesem Projekt sehr kritisch gegenüber. Aber als sie dann aber das Ergebnis sahen, wurde es überwiegend positiv wahrgenommen und akzeptiert.
 

Als Mitglied des Freundeskreis Bagamoyo muss ich Sie natürlich fragen, ob unser Eindruck richtig ist, dass die Idee eines Welterbes "Ostafrikanische Sklaven- und Handelsroute" inklusive Bagamoyo tatsächlich vom Tisch ist?
Die ostafrikanische Handels- und Sklavenroute wurde dem WHC zur Nominierung vorgelegt, das gemeinsam mit seinen beratenden Gremien eine Ergänzung und Verbesserung des tansanischen Antrags empfahl. Die Mängel wurden dann anschließend in Tansania beraten. Es ging dabei um nicht ausreichend ausgearbeitete Kriterien und vergleichende Analysen, aber zum Beispiel auch um unzureichendes Kartenmaterial. Ich glaube schon, dass die Regierung immer noch dieses Weltkulturerbe auf die Welterbeliste setzen will – aber ich bin natürlich nicht mehr in der Regierung. Grundsätzlich erscheint mir die Anerkennung weiterhin machbar, und wenn die Gelegenheit kommt, wird unsere Regierung die Nominierung wiederbeleben und abschließen.

Donatius Kamamba, vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person

Donatius Kamamba, Dipl.-Architekt, Master Conservation Studies (Uni York), 1981-1988 Konservator der Antiquities Division im Antiquities Department (Daressalaam), 2000-2017 Director of Antiquities Tanzania. Ausgezeichnet mit dem “Order of Arts and Letters Award” des Kulturministeriums Frankreich (2014)

Uli Malisius, Dipl.-Ing. Architekt und Stadtplaner, Diplom-Technologie in den Tropen, 1981-1987 Stone Town Conservation Zanzibar (DED), Aufbau der Denkmalbehörde Stone Town; 2000-2001 Boma Conservation Plan Bagamoyo (DED); 2008-2010 Regierungsberater für kommunalen Umweltschutz in Tansania (Danida). Veröffentlichung: "The Stone Town of Zanzibar".
 


Einsturz "House of Wonders": Regierung feuert Leitung der Denkmalschutzbehörde von Sansibar

Eine vom Präsidenten Sansibars eingesetzte Untersuchungskommission ist nach Angaben der regierungsnahen tansanischen Tageszeitung Daily News zu dem Ergebnis gekommen, dass der Einsturz des ehemaligen Sultanspalastes von Sansibar ('House of Wonders') am 25. Dezember 2020 auf die Auftragsvergabe zur Renovierung des denkmalgeschützten Gebäudes an „ein nicht qualifiziertes und inkompetentes Unternehmen“ zurückzuführen ist. Außerdem sei „die Bauaufsicht schlecht gewesen“ und es seien illegal Aufträge an Subunternehmer vergeben worden.

Ministerin kündigt juristische Konsequenzen an

Als weitere Gründe wurden auf einer Pressekonferenz in Sansibar Verstöße gegen die Bauvereinbarung, Fahrlässigkeit durch die Denkmalschutzbehörde für Stonetown Sansibar sowie Fehler des bis November 2020 amtierenden Ministeriums bei der Bauaufsicht angeführt.

Die neue Ministerin für Tourismus und Denkmalschutz, Lela Mohamed Mussa, kündigte juristische Konsequenzen an: „Führungskräfte, die im ehemaligen Tourismusministerium und in der Zanzibar Stone Town Conservation and Development Authority (STCDA) tätig waren, werden zur Rechenschaft gezogen. Dies schreiben das Gesetz über den Öffentlichen Dienst, die Antikorruptions- und Wirtschaftskriminalitätsbehörde Sansibars (ZAECA) und andere Gesetze vor. Wer gegen sie verstoßen hat, wird vor Gericht gestellt.“

Italienischer Baufirma wird Unfähigkeit vorgeworfen

Nach Angaben der Ministerin ist die mit der Renovierung beauftragte italienische Firma Costruzioni Generali Giladi (CGG) nicht in der Lage, die Renovierungsarbeiten am House of Wonders durchzuführen. Die Maßnahmen in Höhe von circa 6 Millionen US-Dollar starteten im November 2019 und sollten im Februar 2021 abgeschlossen sein.

Mussa sagte, das Unternehmen habe bereits 621.000 USD aus dem von der Regierung des Oman für die Renovierung bereitgestellten Etats erhalten. Bis zum Einsturz des Gebäudes seien aber lediglich 10 Prozent der Arbeiten durchgeführt worden.

Antikorruptionsbehörde mit Untersuchung beauftragt

Die Ministerin gab bekannt, dass sie dem Vorschlag der Kommission, die Leitung der Denkmalschutzbehörde STCDA aufzulösen, zugestimmt und die Antikorruptionsbehörde mit einer Untersuchung beauftragt hat, warum die 621.000 USD bereits vor Fertigstellung der Arbeiten durch das zuständige Ministerium ausgezahlt wurden. Auch solle untersucht werden, warum dem Supervisor des Bauprojekts für die schlechte Arbeit 21.000 EUR ausgezahlt wurden.   

Ehemalige führende Mitarbeiter des Ministeriums für Tourismus und Denkmalschutz wurden von der Ministerin namentlich nicht benannt. Sie kündigte aber aber, „niemanden zu verschonen, der die Regeln nicht befolgt hat.“
 


Ulli Malisius: Eine erste Analyse zum Einsturz des 'House of Wonders'

Uli Malisius, der den ersten Masterplan zum UNESCO-Weltkulturerbe 'Stonetown Zanzibar' erstellt hat und als internationaler Experte für Denkmalschutz anerkannt ist, hat für die 'Tansania News'  eine erste Analyse zum Zusammenbruch weiter Teile des ehemaligen Sultanspalastes von Sansibar ('House of Wonders') erstellt:

"Von Personen, die zum Zeitpunkt des Einsturzes im Gebäude beschäftigt waren, gibt es sinngemäß die folgenden Aussagen:

Die Betondecke über dem obersten Geschoss war schon längere Zeit undicht und durch Wasser geschädigt. Sie war so undicht, dass das Wasser auch auf das darunterliegende Geschoss tropfte. Eine Woche vor dem Einsturz wurden sich öffnende Risse in der westlichen Aussenwand beobachtet, die täglich an Umfang und Zahl zunahmen.

Wenige Stunden vor dem Einsturz gab es eine Staubentwicklung, die aus den Rissen kam. Ein Teil der Personen verliess daraufhin schnell das Gebäude. Weitere Menschen befanden sich noch im Turm. Weil der Clocktower aber als Letzter auf die anderen zusammengestürzten Gebäudeteile fiel,  konnten diese Personen überleben, während andere unter dem Schutt begraben wurden.   

Ein ungefähres Bild von Ursache und Verlauf

In Verbindung mit den Fotos vor und nach dem Zusammensturz kann man sich jetzt ein ungefähres Bild von Ursache und Verlauf machen. Das Gebäude hat einen inneren Kern aus Mauerwerk, dieser blieb fast unversehrt stehen (siehe Foto oben). In circa 4 m Abstand verläuft um den Kern die Außenwand als eine Art Ringmauer und um sie herum im gleichen Abstand die Veranda mit den gusseisernen Säulen. Geschwächt von längerer Durchfeuchtung ist offenbar die Ringmauer in den Obergeschossen als erstes kollabiert, hat die Säulen und die Veranda mit sich gerissen, und zuletzt ist dann auch noch der Uhrenturm (Clocktower) eingestürzt.

Sehr ungünstige und inkonsequente Form der Entwässerung

Die Ringmauer schliesst oben mit einer Brüstung und einem Flachdach ab (siehe Foto unten). Die gesamte Dachdeckung hat in der Mitte und außen geneigte Dachflächen, die das Regenwasser abfliessen lassen. Dazwischen befindet sich aber ein Flachdach, auf das Wasser von der Dachmitte geleitet wird. Es ist eine schon von der Konstruktion her sehr ungünstige und inkonsequente Form der Entwässerung, weil man große Wassermengen nur über große Umwege aus das Gebäude leiten kann. Schon bei geringen Undichtigkeiten oder Verstopfungen kann es am Flachdach zum Eindringen von Wasser ins Gebäude kommen.

Eine Schwäche im Bau und Design des Daches

So wurde offenbar in der Regenzeit die Ringmauer immer wieder feucht und geschwächt, bis sie Risse entwickelte und schließlich zusammenbrach. Da die Ringmauer zudem kaum durch Querwände an den stabileren inneren Gebäudekern aus Mauerwerk angebunden war, konnte sich der Kollaps so weit ausbreiten und ein Drittel des gesamten Gebäudes mit sich reißen -  eine Schwäche im Bau und Design des Daches, die durch mangelnde Inspektion und Bauunterhaltung dann zur tickenden Zeitbombe werden konnte."

Quelle: Uli Malisius, Landau, 7.2.2021
 


Interview mit dem Denkmalschutz- und Sansibar-Experten Uli Malisius über den überraschenden Zusammenbruch des ehemaligen Sultanspalastes von Sansibar am 25.12.2020

Uli Malisius, wenn Sie sich die Fotos vom zusammengebrochenen 'House of Wonders' auf Sansibar anschauen, was geht Ihnen da durch den Kopf?

Der Einsturz sieht schon ziemlich drastisch aus, zumal auch der Turm kollabiert ist. Drastisch ist auch die Tatsache, dass der Einsturz auf einen Schlag erfolgte und nicht stückweise, wie es normalerweise geschieht. Es gibt drei Möglichkeiten, wie das Ganze passiert sein könnte: 1. Zuerst ist der Clocktower eingestürzt und hat dann alles andere mitgerissen. 2. Die umlaufende Veranda ist eingestürzt und hat den Turm mitgerissen. 3. Alles ist gleichzeitig eingestürzt.

Welche Variante ist die Wahrscheinlichste?

Das ist aus der Entfernung schwer zu sagen. Es wäre interessant zu wissen, was Augenzeugen beobachtet haben. Es würde mich aber nicht wundern, wenn zuerst die Veranda eingestürzt ist. Denn ich habe schon im Jahr 2013  die eingestürzte Veranda an der rückwärtigen Fassade des Gebäudes gesehen. Damals ging der Verfall sichtbar los, und zwar dort, wo die Denkmalschutzbehörde von Sansibar ihre Tischlerwerkstatt hat. Kurioserweise stürzte die Veranda damals auf den darunter stehenden Pickup der Behörde und demolierte ihn.

Warum brach schon damals die Veranda zusammen?

Vermutlich wegen mangelnder Bauunterhaltung und einer Durchfeuchtung der Konstruktion durch Regen. Es war nicht zu übersehen, dass eine Veranda dieser Spannweite ein instabiler Bauteil sein kann, wenn sie nicht gut an festen Wänden verankert ist oder keine diagonalen Aussteifungen hat. Das ist ein sehr sensibler Bereich für die Statik, das kennen wir auch von Fachwerkhäusern.
 

Wie kann eine italienische Baufirma weit über ein Jahr an dem historischen Gebäude arbeiten, ohne darauf zu achten?

Das ist aus der Ferne betrachtet in der Tat unerklärlich. Auf Fotos, die vor dem Kollaps aufgenommen wurden, kann man deutlich sehen, wie der jetzt eingestürzte Bereich eingerüstet war. Man sieht ganz klar an den dünnen Eisenrohren und schwachen Stützen, dass es nur ein paar Bauarbeiter tragen kann, die an der Fassade arbeiten wollen. Es kann aber keine statische Funktion im Sinne einer Entlastung einsturzgefährdeter Bauteile übernehmen. Dazu ist dieses Gerüst gar nicht geeignet. Die Verstärkung von Unterzügen, Balken und Absprießungen mit kräftigen zusätzlichen Säulen fehlt. Auf den Fotos erkennt man im ersten und zweiten Obergeschoss rote Balken aus Holz oder aus Eisen. Das sieht aus wie eine angedachte Verstärkung der Träger – aber ein Gerüst dieser Bauart darunter konnte das Ganze gar nicht tragen.

Warum hat man das nicht gesehen?

Das dürfte Gegenstand der Untersuchung sein. Vielleicht gab es eine Fehleinschätzung der Gefahr, vielleicht hat man schon bei der Schadensanalyse oder der Maßnahmenplanung nicht gut gearbeitet. Oder man wollte beim Gerüst ganz einfach Geld sparen.
 

Hat denn die italienische Baufirma den Auftrag nach einer Ausschreibung bekommen?

Ich gehe davon aus, dass es eine Form von Auswahlprozess gab. Zwar hat es hier vermutlich keine Ausschreibung auf EU-Niveau gegeben, wie sie bei uns üblich ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Sultanat Oman, das im eigenen Land einen weltweit guten Ruf in Sachen Denkmalschutz vorweisen kann, unter der Hand irgendeine beliebige Firma aus Italien aussucht.

Ist die italienische Baufirma haftbar zu machen?

Das ist eine Frage der Verträge und wird sicherlich juristisch geprüft. Tansania hat dies auch schon in anderen vergleichbaren Fällen getan und die Verantwortlichen anschließend vor Gericht gestellt. Es geht aber nicht alleine um die Baufirma, es muss ja einen Vorlauf mit Gutachten von Experten und Fachingenieuren gegeben haben, die eine präzise Diagnose des Gebäudezustandes liefern mussten, und danach eine Planung der richtigen Maßnahmen. Diese muss dann die Baufirma unter fachlicher Aufsicht ausführen. Wo im Prozess Probleme und Fehler aufgetreten sind, kann man aus der Ferne natürlich nicht beurteilen.
 

Die Altstadt von Sansibar ist UNESCO-Weltkulturerbe. Warum ist die UNESCO nicht rechtzeitig eingeschritten?

Die UNESCO hat kein Ausführungsmandat und damit auch keine unmittelbare Verantwortung. Zuständig ist alleine die jeweilige Regierung. Die UNESCO hat im wesentlichen nur eine beratende Funktion, beispielsweise in Fragen des denkmalschutzgerechten Wiederaufbaus oder des Managements eines Weltkulturerbes. Sie kann nicht kontinuierlich weltweit alle Renovierungsmaßnahmen kontrollieren. Sie ist in der Regel  auf übergeordneter Ebene tätig.

Und welche Rolle spielt die Denkmalschutzbehörde von Sansibar?

Das 'House of Wonders' ist für diese Behörde ein sehr schwieriger Komplex. Bezüglich Größe und Konstruktion ist er vollkommen untypisch für Sansibar. Ich habe früher noch selbst Mitarbeiter der Stonetown Authority ausgebildet. Ich weiß nicht, ob auch ihre Nachfolger für dieses Gebäude speziell geschult wurden. Aber sie muss natürlich mit dafür sorgen, dass Arbeiten an einem so wichtigen Gebäude qualifiziert durchgeführt werden. Ansonsten hat die Behörde auch eine koordinierende Funktion zwischen fachlicher und politischer Ebene.
 

Wie geht es mit dem Wiederaufbau des 'House of Wonders' jetzt weiter?

Zuerst gibt es eine Diagnose der Schäden und eine Ursachenforschung. Dann folgt der Analyse- und Planungsprozess. Dazu werden alle vorhandenen schriftlichen Dokumente herangezogen und ein Expertenteam mit Architekten, Bauingenieuren, Statikern und Denkmalschutzexperten eingerichtet. Danach kann man mit der Regierung einen Fahrplan für den Wiederaufbau erstellen mit allen nötigen technischen und finanziellen Schritten.

Ist der Wiederaufbau schwierig?

Nein, technisch ist das sicher machbar. Alle Baupläne sind vorhanden. Und es ist auch nur eine Teilrekonstruktion. Der Kern des Gebäudes steht ja noch teilweise. Die Kosten werden aber vermutlich grob geschätzt auf circa 10 Millionen Euro ansteigen. Denn jetzt addieren sich das Aufräumen, die Notsicherung des Restgebäudes, die erneute Untersuchung und Planung, der Wiederaufbau des kollabierten Teils und die Restaurierung des stehen gebliebenen Teils.

Entscheidend ist, dass ein qualifiziertes Projektmanagement durchgeführt wird und dass eine qualifizierte Baufirma unter Supervision die Arbeiten ausführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Vertreter des Sultanats Oman auf einem verlässlichen Projektmanagement bestehen werden, sonst kann es wieder Probleme geben. Für beide Regierungen, Oman und Sansibar, hat das Projekt einen extrem hohen Symbolcharakter. Und es gibt bei einem ehemaligen Sultanspalast auf Sansibar große politische Befindlichkeiten.
 

Wie viele Jahre könnte der Wiederaufbau dauern?

Die Frage kann ich ohne Kenntnis der Schadensdiagnose natürlich nicht exakt beantworten. Ich schätze aber, dass es rein bautechnisch gesehen innerhalb von zwei bis drei Jahren möglich sein sollte. Wie lange der davor nötige Vorbereitungs- und Planungsprozess dauert, hängt von den Beteiligten ab.

Sollte das Gebäude im Original wiederaufgebaut werden?

Unbedingt! Ich sehe keinen Grund für große Änderungen. Kompromisse wären vielleicht bei den sanitären Einrichtungen für die Nutzung als Museum  möglich.

Aber ansonsten: Die berühmte große Eingangstür ist wohl noch vorhanden, die Stahlstützen sind vermutlich nicht stark beschädigt und könnten für die Rekonstruktion der Veranda wieder verwendet werden. Falls einige der gusseisernen Stützen nicht mehr verwendbar sind, könnte man an der kaum sichtbaren Rückseite des Gebäudes auch neue Stahlstützen einsetzen. Auch das Dach ist technisch kein Problem, muss aber sorgfältig mit Entwässerung geplant werden. Und mit dem Museum gibt es ja bereits ein vernünftiges und nachhaltiges Nutzungskonzept.

Beim Mauerwerk aus Korallenstein muss man sicher überlegen, ob man dieses an manchen Stellen durch Stahlbeton verstärkt oder ersetzt, vor allem für den Turm wäre das sicher besser.
 

Welche Bedeutung hat das 'House of Wonders' für Sansibar?

Das Gebäude ist die große bauliche Landmarke von Sansibar. Man sieht den Palast von Land und von Wasser. Die politische und historische Bedeutung des ehemaligen Sultanspalastes ist enorm. Ohne dieses Gebäude ist Stone Town nicht denkbar, es ist vergleichbar zum Beispiel mit der Anglikanischen Kathedrale über dem ehemaligen Sklavenmarkt. Das 'House of Wonders' symbolisiert in einzigartiger Weise die ganze Pracht und Macht des Sultanats, aber eben auch die schreckliche Vergangenheit der Sklaverei und des Feudalismus in Sansibar.

Auch muss man die Rolle sehen, die das Gebäude als Ensemble mit den anderen Gebäuden und den 'Forodhani Gardens' und der Wasserfront bildet: eine der schönsten und belebtesten urbanen Plätze und Zentren Afrikas.

Eine Besonderheit ist auch die Tatsache, dass der Palast am 27.8.1896 von der britische Marine in Schutt und Asche geschossen und danach umgehend wieder aufgebaut wurde. Den ursprünglich vom Gebäude abgetrennte Clocktower hat man dabei in die Front des Gebäudes integriert.

Das 'House of Wonders' hat für Sansibar eine Bedeutung wie der Eiffelturm für Paris oder der Dom für Köln.

Uli Malisius, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Rudolf Blauth (Freundeskreis Bagamoyo e.V.) am 28.12.2020.
 


Zur Person

Uli Malisius, Dipl.-Ing. Architekt und Stadtplaner, Diplom-Technologie in den Tropen; Entwicklungshelfer, Gutachter und Berater für Ghadames/Libyen und Sanaa/Jemen (jeweils UNESCO-Weltkulturerbe); Stadtkonservator in Röros/Norwegen (UNESCO-Weltkulturerbe); 1981-87 Stone Town Conservation Zanzibar (DED), Aufbau der Denkmalbehörde Stone Town; 2000-01 Boma Conservation Plan Bagamoyo (DED); 2002-2007 CIM-Integrierter Experte in Sucre, Bolivien (kommunale Dezentralisierung); 2008-2010 Regierungsberater für kommunalen Umweltschutz in Tansania (Danida); 2010/2011 Teamleiter Altstadtsanierung Damaskus, Syrien (UNESCO-Weltkulturerbe)(GIZ); 2013-2016 Kommunaler Umwelt- und Klimaschutz in Indonesien (GIZ); 2018-2019 Berater für kommunale Planung in Paraguay (CIM/GIZ). Mitglied des Freundeskreises Bagamoyo e.V.; Vortragsreise durch Deutschland mit Mwalim A. Mwalim (Leiter der Denkmalschutzbehörde Sansibar) und Zusammenarbeit mit Donatius Kamamba (langjähriger Leiter der nationalen Denkmalschutzbehörde von Tansania). Veröffentlichung: "The Stone Town of Zanzibar".