Abdulrazak Gurnah, "Schwarz auf Weiß"

Edition Kappa, München, 2004
328 S., 19,80 EUR

In seinem Roman "Schwarz auf Weiß" beschreibt Abdulrazak Gurnah das Fremdsein von Migranten. Das gilt besonders für jene, welche sich bereits durch ihr Äußeres von der Gesellschaft abgrenzen lassen.

Jan Valk stellte den Roman in Quantara.de vor:

Es gibt unterschiedliche Formen von Fremdheit. Es gibt das Fremdsein des Neuankömmlings, und es gibt die Fremdheit eines Tropfen Öls in einem Eimer Wasser. Sie ist mehr als ein vorübergehender Zustand. Sie ist die eigentliche Existenzform des Fremden: etwas Unauflösliches.

Eine solche Form der Fremdheit ist kennzeichnend für die Helden Abdulrazak Gurnahs. Es sind Menschen, die durch ihre Hautfarbe unübersehbar markiert sind: Sie sind fremd in dem Land, in dem sie leben. Und sie bleiben es, da dies die Rolle ist, die ihnen jeden Tag aufs Neue zugeschrieben wird.

Abdulrazak Gurnah wurde 1948 in Sansibar geboren. Mit zwanzig Jahren verlies er Tansania und lebt seither in England, wo er seit 1985 an der Universität von Kent in Canterbury afrikanische und karibische Literatur lehrt. Seit 1987 publizierte er sechs Romane und zwei Mal wurde er für den Booker-Prize nominiert.

Verlust der eigenen Identität

Daud, der Protagonist des Romans " Schwarz auf Weiß", lebt in einer britischen Kleinstadt in den siebziger Jahren. Über seine Herkunft weiß man zunächst nicht viel. Doch bereits in den ersten Sätzen erfährt der Leser, dass er ein "Wog" ist. Ein Schwarzer. Ein Nigger. Denn das ist es, was ihn "auszeichnet". Es bestimmt die Art, mit der sein Umfeld ihm begegnet, und die Strategien, die er entwirft, um mit dieser täglichen Zuweisung umzugehen.

Daud lebt bereits seit fast fünf Jahren in England. Er hat sein Studium abgebrochen und arbeitet nun als Hilfspfleger in einem Krankenhaus. Sein Charakter ist durch eine fast paranoide Wachsamkeit geprägt. Überall wittert er Gefahr. Und überall bekommt er Gewalt zu spüren. Ob es sich um körperliche Übergriffe, Beschimpfungen oder nur Blicke handelt, ist von den Orten abhängig, an denen er sich aufhält: Auf der Straße drohen ihm Prügel, bei seiner Arbeit erwarten ihn "feinere" Formen der Erniedrigung.

Das wohl schmerzhafteste an seiner Situation ist jedoch, dass Daud durch sein Außenseitertum seiner Geschichte beraubt wird. Die Gesellschaft, in der er lebt, hält eine neue Identität für ihn bereit. Er ist einer von Vielen. Selbst sein Name ist ohne Bedeutung: Er ist ein Schwarzer, ein sexuell übersteuerter, unkultivierter, fauler Wog.

Daud begegnet seiner Situation mit einer Mischung aus Resignation und beißendem Zynismus. Er versucht nicht, gegen die Unzahl an Vorurteilen anzugehen. Vielmehr reagiert er auf diese Zuweisung, indem er sie auf radikale Weise erfüllt. Er gibt den Menschen, was sie von ihm erwarten. Er spielt den Neger - eine bittere Parodie der Rolle, die sein Umfeld ihm auf den Leib geschrieben hat.

Aus Figuren werden Menschen

Eine Möglichkeit, heimisch in dieser Gesellschaft zu werden, sieht Daud nicht. Die Rückkehr zu seiner Familie in Tansania scheint ebenfalls unmöglich. Seit er das Studium abgebrochen hat, wagt er nicht, mit seinen Eltern in Kontakt zu treten.

Plötzlich tritt eine junge Engländerin namens Catherine in Dauds Leben. Es ist nicht das erste Mal, dass er eine Affäre mit einer Weißen hat. Doch zum ersten Mal trifft er auf einen Menschen, der ihm seine zynisch-selbstmitleidige Rolle als gescheiterter Wog nicht abnimmt. Catherine fragt nach. Sie will keine "Geschichten" von ihm hören, sondern seine Geschichte kennen lernen. Gleichzeitig verlangt sie, dass Daud sich mit der ihren vertraut macht.

Behutsam lässt Gurnah seine Charaktere an Konturen gewinnen. Und ganz allmählich werden aus Figuren, die bis dahin nur als Spiegelungen gesellschaftlicher Zuweisungen erschienen sind, Menschen mit einer eigenen und einmaligen Geschichte.

Grenzen überschreiten

Gurnah entwirft kein naives Bild von der Überwindung der Rassenschranken durch die Kraft der Liebe. Diskriminierung, Vorurteile und auch Dauds Neigung zu Selbstmitleid und Zynismus bleiben bis zuletzt erhalten. Doch gerade darin besteht die Stärke des Romans.

"Schwarz auf Weiß" führt keine Heilung vor, keine Auflösung. Der Roman zeigt vielmehr, dass ein Fortschritt erst möglich wird, wenn man beginnt, die radikalen Fremdheiten in ihrer Eigenart bestehen zu lassen.

Es geht nicht um die einmalige Überwindung einer Grenze. Was zählt ist vielmehr die Bereitschaft, diese Grenze anzuerkennen und dennoch immer wieder zu überschreiten. Diese Überschreitung kann sich nur im Gespräch vollziehen, in der Bereitschaft, nach den Geschichten zu fragen, welche die Menschen in ihre Fremdheit geführt hat.

"Schwarz auf Weiß" ist im Grunde eine einfache, eine oft erzählte Geschichte: Eine Liebe zwischen ungleichen Partnern. Ein Antiheld, der an der Gesellschaft zu scheitern droht. Was den Roman jedoch zu mehr macht, als der Spiegelung einfacher Muster auf einer postkolonialen Thematik, sind die kleinen Geschichten der Menschen, die hier erzählt werden.

Gurnah selbst hat die Motivation seines Schreibens einmal damit begründet, dass er "etwas Ungesagtes, etwas noch nie Gehörtes" finden wolle. Genau das zeichnet den Roman aus: Geschichten von Menschen, die selten gehört und noch seltener auf so eindruckvolle Weise aufgeschrieben wurden. Der Roman "Schwarz auf Weiß" zeichnet ein Bild verhärteter Gesellschaftsstrukturen - und bringt sie in Bewegung.

Jan Valk
© Qantara.de 2004