Sarah Paulus, Rolf G. Wackenberg: "Von Goetzen bis Liemba"

Die beiden Autoren unternehmen auf dem Tanganjikasee eine Reise mit dem ehemaligen deutschen Kolonialschiff Graf Götzen, der heutigen Liemba. Sie reisen von Süden nach Norden, von Mpulungu (Sambia) nach Kigoma (Tansania), eine abenteuerliche Tour auf einem der ältesten noch in Betrieb befindlichen Passagier- und Frachtschiffe der Welt.

Geschildert werden vor allem die Begegnungen während der mehrtägigen Schiffsreise: Begegnungen mit Tansaniern und mitreisenden Ausländern, Begegnungen mit dem Schiffspersonal: Da ist z.B. Frank, der Angst vor Piraten hat oder Audrey, die unentwegt zeichnet. Da gibt es Begegnungen mit einem südafrikanisches Filmteam, mit Schiffskapitän Titus, der auf seine Brücke einlädt und mit vielen afrikanischen Reisenden in Klasse 2 und Klasse 3 tief unten im dunklen Bauch des Schiffes. Einige Passagiere spielen unentwegt ein Brettspiel, das an „Mensch ärgere Dich nicht“ erinnert. Abdul betet ohne Kompass regelmäßig gen Mekka und besonders stark sind die Schilderungen eines schweißtreibenden Besuches bei Chefingenieur Mathias im Maschinenraum.

Hinzu kommen historische Reflektionen über die Geschichte Tansanias im Allgemeinen und zur Geschichte der Liemba im Besonderen. Und natürlich sind auch die Anlegestellen mit ihren Sehenswürdigkeiten die eine oder andere Bemerkung wert (z.B. über den Mahale Nationalpark).

Eine gute Ergänzung zu dem Roman von Alex Capus

Der Leser wird außerdem darüber aufgeklärt, was die Graf Götzen mit der legendären „African Queen“ in dem bekannten Hollywood-Film mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn gemein hat und was aus den drei Ingenieuren der Papenburger Meyer-Werft geworden ist, die zuerst den legendären Transport der Graf Götzen in über 5.000 Kisten an den Tanganjika-See beaufsichtigten, dann das Schiff zusammensetzten und es schließlich bei Ausbruch des 1. Weltkriegs schweren Herzens wieder versenken mussten. Der Besuch der Autoren bei den Nachfahren der drei Ingenieure in Papenburg ist von besonderem Interesse.

Das Buch ist insgesamt eine sehr gute Ergänzung zu dem historischen Roman „Eine Frage der Zeit“ von Alex Capus, der für das Buch übrigens auch ein Vorwort geschrieben hat.

Etwas irritierend ist allerdings die an mehreren Stellen zu beobachtende deutliche Zurückhaltung der Autoren bei der Bewertung der deutschen Kolonialzeit. Es ist schon merkwürdig, den Rassisten und Kolonialverbrecher Carl Peters relativ neutral als „die personifizierte Umsetzungsstärke und Inkarnation von Effizienz und Effektivität schlechthin“ zu bezeichnen und den Maji-Maji-Aufstand mit über 100.000 afrikanischen Todesopfern vor allem der Brutalität der „zuweilen arabisch-afrikanischen Aufseher“ in die Schuhe zu schieben, nicht jedoch grundsätzlich mit dem menschenverachtenden deutschen Kolonialregime in Verbindung zu bringen.

Leider können es sich die Autoren auch nicht verkneifen, in das aktuelle Entwicklungshilfe-und NGO-Bashing einzusteigen. Es mag ja „in“ sein, in eine vollkommen undifferenzierte Schelte gegen die Entwicklungszusammenarbeit einzusteigen, der Sache nützt sie jedoch überhaupt nicht – zumal das Buch andererseits (immerhin im Erscheinungsjahr 2013!) den seit Jahren zu beobachtenden wirtschaftlichen Boom Tansanias und Ostafrikas, der vollkommen neue Anforderungen an die Entwicklungszusammenarbeit stellt, weitgehend ignoriert.

Von diesen Schwachpunkten abgesehen ist das Buch jedoch aus mehreren Gründen lesenswert:

Das Buch ist sprachlich wirklich hervorragend mit vielen wunderbaren Beschreibungen, die Kennern der Region aus der Seele sprechen: „Es fällt schwer, die faszinierende Aura und untrügliche Anziehungskraft des Sees zu fassen. Vielleicht ist es die Farbenvielfalt des Wassers, das je nach Sonneneinstrahlung kobaltblau oder smaragdgrün schimmert. Oder die Idylle seiner Ufer, die Ruhe und Frieden ausstrahlen. Für mich ist der Tanganjikasee ganz großes Seelenkino.“

Die Fahrt auf der Liemba wird dabei keineswegs idealisiert. Alleine die humorvolle und anschauliche Beschreibung des Abenteuers eines Toiletten-Ganges oder des „Tierreichtums“ in den engen Kajüten bzw. in den Gemeinschaftsräumen („In der Kombüse singt ein Heer von Küchenschaben die Abendmesse“) wird wohl für Jahre die Zahl der Touristen in einer überschaubaren Größe halten. Nicht zuletzt wird jeder Liemba-Fan über den aktuellen Stand in der Diskussion um die Zukunft des Schiffs informiert.

Kurzum: Es macht (von den wenigen genannten Ausnahmen abgesehen) wirklich Spaß, das Buch zu lesen!

Sarah Paulus, Rolf G. Wackenberg, „Von Goetzen bis Liemba“
Eigenverlag epubli, 2015 (Ersterscheinung im Verlag Artissage, Berlin 2013)
274 S., 12,99 EUR