Gerald Giesecke in "Aspekte" (ZDF) v. 24.3.06

"Der Weltensammler"

Ein Roman von Ilija Trojanow

Triest, Oktober 1890. Es verbrennen die Tagebücher eines berühmten Globetrotters. Seine Witwe selbst hat die Flammen gezündet. Sie fürchtet, die anrüchigen Aufzeichnungen könnten den Ruf ihres verstorbenen Gatten ruinieren. So bleibt vieles um ihn rätselhaft. Sein Name: Sir Richard Francis Burton.

Ilija Trojanow in Afrika

Burtons Geschichte ist die eines rastlosen Abenteurers, der sich schon im 19. Jahrhundert zwischen den Welten und Kulturen bewegte. Ein Abenteurer voller Lebenshunger und hemmungsloser Neugier. Ein Schreiber, der die feine Gesellschaft brüskierte.

Atemloses Leben

Ilija Trojanow, in Bulgarien geborener deutscher Schriftsteller und selbst ein Globetrotter, machte nun Burtons atemloses Leben zu einem Roman. Wie seine Hauptfigur hat er Jahre in Indien verbracht. Und seit Jahren fasziniert ihn Burton, der Exzentriker mit dem unstillbaren Wissensdurst, einer der sich nie überheblich den Kulturen in Afrika, Arabien und Indien gegenüber verhielt, sondern sie aus eigenem Erleben heraus begreifen wollte.

Ins koloniale Indien geht der damals gerade 21-jährige Burton - als Offizier. Anders kann er dem für ihn zu engen, spießigen viktorianischen England nicht entkommen. Doch die Hochnäsigkeit seiner Landsleute stößt ihn ab, die Lebensweise der Einheimischen dagegen zieht ihn magisch an. Er lernt fließend Hindi, Farsi und Afghanisch. Bald kleidet er sich sogar als Hindu, entdeckt das Kamasutra für sich und die westliche Welt, übersetzt es als Erster ins Englische. Den Briten allerdings galt er zunehmend als "strange".

Gerüche, Gebete, Gelüste

In Bombay wie auch den anderen Schauplätzen in Burtons bewegtem Leben spürte Trojanow diesem Sonderling nach, jahrelang. Kundig führt er seine Leser in den exotischen und schwer zugänglichen Kosmos Indien. Im alten Stadtkern entdeckte er unter anderem das Haus, in dem Richard Burton 1842 seine erste Nacht fern Europas verbrachte. Für ihn war es der Beginn einer Reise, die ein Leben dauert. "Burton blieb immer rastlos, ohne jemals zu wissen, wohin er wollte", so Ilija Trojanow.

Ilija Trojanow in Afrika

Die nächste Identität des lebenshungrigen Briten: Moslem. Trojanow zeigt ein üppiges Bild des muslimischen Lebens im damaligen Indien, Gerüche, Gebete, Gelüste. Zum Islam zieht es Burton, als ihm die Welt der Hindus nicht mehr genügt. Und schon wechselt er erneut das Gewand. Er lässt sich beschneiden - so sehr will er jetzt Teil dieser Kultur werden. Bald zitiert er den Koran auswendig und spricht fließend Arabisch. Bis zu seinem Tod lernt er nicht weniger als 40 Sprachen und Dialekte.

Zwischen Fakt und Fiktion

Das Besondere im Roman: Trojanow stellt ihm ein Panoptikum an fiktiven Zeitgenossen zur Seite und macht die historische so zu einer packenden literarischen Figur. Der Autor spielt zwischen Fakt und Fiktion ebenso wie zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung.

So erzählt im Buch Burtons ehemaliger Diener von seinen Jahren an der Seite des eigenwilligen Europäers - dabei hilft ihm ein öffentlicher Schreiber, wie damals üblich. Der wiederum verfasst seine Version der Geschichte. Die Perspektivenwechsel und die Sprache der Einheimischen sind für den Leser des Romans ein Vergnügen.

Nach Mekka und Medina

Trojanow selbst ist mit dem Islam vertraut. Nur weil er sie selbst erlebt hat, gelingt es ihm, die nächste Reise Richard Burtons faszinierend zu schildern: Getarnt als persischer Arzt begibt sich der Brite auf die heilige Pilgerreise nach Mekka und Medina. Wäre er damals als "Ungläubiger" enttarnt worden, es hätte seinen Tod bedeutet. Es sind riesige Strapazen, die Burton auf sich nimmt. Trotzdem ist es für ihn eine Erfahrung, die er als aufrichtiger Gläubiger erlebt.

Die ausführlichen Reiseberichte Richard Francis Burtons entgehen auch dem Sultan nicht. Doch dessen Nachforschungen über den vermeintlichen Spion - wieder erlebt der Leser die Hauptfigur aus den der einheimischen "Zeitzeugen" - ergeben: auch wenn dieser Fremde kein rechter Muslim sei, ein "guter" Muslim sei er dennoch.

Das "Andere" verstehen

Mehr als 70 Bücher und Übersetzungen hat der bis heute undurchschaubare Außenseiter schließlich verfasst - natürlich auch über seine nächste große Etappe: Afrika. Er will von Sansibar aus - wie andere damals auch - als erster die Quellen des Nils entdecken. Er scheitert knapp. Und auch in Ostafrika war Trojanow unterwegs auf seinen Spuren, erwanderte wochenlang die Route seiner Hauptfigur.

Das alles spürt man in diesem Roman in jeder Zeile. Burton war ein "kulturelles Chamäleon", das wird deutlich, jemand, dem die Heimat von Anfang an "fremd" war. Zugleich war er besessen, das vermeintlich "Andere" zu verstehen. Gerade in Zeiten von Globalisierung, kulturellen Konflikten und dem oftmals zitierten "Clash of Civilizations" macht ihn dies zu einer herausragenden und aktüllen Figur.

Großartige Chance

Richard Francis Burton - "der Weltensammler". Ilija Trojanows Roman bietet nun eine großartige Chance, ihm ein Stück näher zu kommen. Richtig begreifen wird man ihn wohl nie - nicht zuletzt dank seiner "besorgten" Witwe.