Andreas Eckert, "Herrschen und Verwalten - Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tansania 1920-70"

Oldenbourg Verlag, München 2007
313 S., 49,80 EUR 

Die Bürde des schwarzen Mannes

Andreas Eckert ergründet am Beispiel Tansanias die Ursachen für die Krise der afrikanischen Nationalstaaten

Von Michael Epkenhans

Afrika macht seit Jahren Schlagzeilen als anscheinend verlorener Kontinent: Berichte über Staatsstreiche und Bürgerkriege, Grenzkonflikte, Hunger- und Umweltkatastrophen, schließlich über den regelrechten inneren Zerfall ganzer Staaten sind inzwischen so alltäglich, dass sie von vielen kaum noch wahrgenommen werden.

So zahlreich die Schilderungen der alltäglichen Katastrophen sind, so vielfältig sind auch die Versuche, den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen. Zu den Gründen, die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt werden, gehören auch ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Kolonialherrschaft einerseits die koloniale Vergangenheit, andererseits die Unfähigkeit und Unwilligkeit einheimischer Eliten, die vorhandenen Probleme konsequent zu lösen, anstatt sich und ihre Clans nur persönlich zu bereichern.

Andreas Eckert, einer der besten Kenner der Geschichte Afrikas, versucht am Beispiel der zunächst deutschen, dann britischen Kolonie Tansania die langen Linien nachzuzeichnen, die für die heutige Entwicklung mitverantwortlich sind. Die gegenwärtige Krise afrikanischer Nationalstaaten ist, so konstatiert er zu Recht, ja nicht neu, denn der Nationalstaat nach europäischem Vorbild habe sich von Anfang an »als Bürde des schwarzen Mannes«, nicht aber als Königsweg in die Moderne nach der Unabhängigkeit erwiesen. Ob es zu diesem Modell eine Alternative gibt beziehungsweise wie diese überhaupt aussehen sollte, könnten allenfalls Propheten sagen. Dies bedeute aber keineswegs, dass Historiker zu der aktuellen Diskussion über »gute« Regierungen und den vermeintlichen Staatszerfall in Afrika keinen Beitrag leisten könnten. Historisch fundierte Analysen von »Herrschaftsstrategien, Verwaltungshandeln und Politik in staatlichen Bezügen« seien vielmehr unabdingbar, um die Genesis der gegenwärtigen Entwicklung überhaupt zu verstehen.

Gestützt auf eine Fülle von Quellen aus den einschlägigen Archiven in Daressalam und London sowie auf zahlreiche Interviews mit afrikanischen Zeitzeugen schildert Eckert die Geschichte Tansanias zwischen dem Ende der deutschen Kolonialzeit und den 1970er Jahren, als dessen legendärer Gründervater, Julius Nyerere, dem Land mit seinen Vorstellungen von einem spezifisch afrikanischen Sozialismus einen eigenen Weg verordnete.

Das Ergebnis dieser gut geschriebenen und sehr plastischen Studie, die in vier großen Abschnitten die verschiedenen Phasen der Entwicklung des kolonialen und postkolonialen Tansanias und die unterschiedlichen Strategien politischer Herrschaft an Fallbeispielen untersucht, ist ernüchternd, denn im Grunde sind sowohl die Kolonialherren als auch ihre afrikanischen Nachfolger mit ihren Rezepten gescheitert. Dies gilt für das Konzept indirekter Herrschaft in den 1920er und 1930er Jahren, aber auch für die Versuche reformfreudiger Kolonialbürokraten, nach 1945 den modernen europäischen Verwaltungs- und Wohlfahrtsstaat nach Afrika zu exportieren.

Der Grundwiderspruch, effektive Bürokraten in speziellen Schulen vor Ort heranzuziehen, gleichzeitig aber die kulturelle Distanz zwischen Europäern und Afrikanern zu betonen, blieb unaufgelöst. Entgegen aller Rhetorik blieb der koloniale Staat bis zuletzt ein autoritärer bürokratischer Kontrollapparat, der Kritik nicht zuließ. Daraus resultierte ein Dilemma, das die postkoloniale Entwicklung maßgeblich beeinflusste: Genauso wie die Kolonialherren glaubten diejenigen, die deren Macht übernahmen, ebenfalls besser zu wissen, was für die eigene Bevölkerung gut war, anstatt diese am Aufbau des neuen Staates wirklich zu beteiligen, und ebenso wie ihre Vorgänger duldeten sie dabei keinen Widerspruch. Das Scheitern war damit über kurz oder lang vorprogrammiert.

Tansania ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Kolonialherren in Afrika ihren Nachfolgern ein schweres Erbe hinterlassen haben. Diese scheiterten, weil sie ein »Haus ohne Fundament«, das heißt ohne wirkliche Staatlichkeit erbten und weil sie – so paradox dies klingen mag – versuchten, eine europäisch geprägte »Modernität« mit lokalen Formen sozialer Organisation zu verbinden. Hinzu kam die Unmöglichkeit, ererbte Entwicklungsprojekte erfolgreich zu beenden. Die gleichzeitig stetig wachsenden Erwartungen an die Problemlösungskapazität des neuen Staates überforderten diesen schließlich.

Andreas Eckert hat diese Zusammenhänge mustergültig aufgezeigt; dauerhafte Lösungen vermag er, wie gesagt, zwar auch nicht aufzuzeigen, wohl aber mehr Verständnis für einen geschundenen Kontinent zu wecken.

(Aus: "Die Zeit" v. 15.11.2007)