01.12.08

Irente Rainbow School: In Tansania ist die Förderung von Behinderten noch die Ausnahme


Irente Rainbow School

Irente Rainbow School

Hawa Shemdoe ist zwölf Jahre alt, singt gern, mag Lego und Memory – und ißt am liebsten den typisch tansanischen Imbiss „Chips Mayai“, ein Omelett mit eingebackenen Pommes. Das Mädchen liebt die Schule, die sie erst seit drei Jahren besucht: „Ich wünschte, es würden noch mehr solcher Schulen gebaut“, sagt sie. Hawa, kisuaheli für „Eva“, hatte großes Glück: Das fröhliche Mädchen, das mit geistigen und körperlichen Behinderungen geboren wurde, gehört zu den etwa ein Prozent behinderten Kindern in Tansania, die überhaupt eine Schule besuchen.

Wie noch 30 andere Kinder und Jugendliche geht sie sogar in eine spezielle Schule, die „Irente Rainbow School“ für geistig Behinderte und Autisten nahe des Städtchens Lushoto in den Usambara-Bergen im Nordosten Tansanias. Im ganzen Land gibt es nur rund eine Handvoll solcher Fördereinrichtungen.

Die Realität sieht oft anders aus

Zwar rühmt sich das Bildungsministerium des ostafrikanischen Landes, auch Behinderte fördern zu wollen. Jedes Kind habe ein Recht auf Grundschulbildung, die in Tansania bis zur siebten Klasse geht. Doch die Realität sieht anders aus, gibt auch die Behörde zu. Denn in Klassen mit oft 60 bis 100 Kindern gehen Schüler mit speziellen Bedürfnissen hoffnungslos unter. Die Lehrer, die oft selbst nur eine mittelmäßige Schulbildung haben, sind mit solchen Fällen überfordert.

Schlimmer noch ist jedoch das Stigma: Vielerorts in Tansania gelten Behinderungen als Strafe Gottes oder Hexerei. „Auch hier in den Usambara-Bergen wurden behinderte Kinder bis vor kurzem nach der Geburt oft einfach von einem Fels hinabgeworfen“, berichtet der Rektor der „Irente Rainbow School“, Yassin Shehaghilo. Andere Eltern verstecken und verleugnen ihre behinderten Mädchen und Jungen.

Die Irente Rainbow School macht sich wie ein kleines Wunder aus

Der Aberglaube rund um Menschen mit Behinderungen oder ungewöhnlichem Aussehen machte in jüngster Zeit immer wieder erschreckende Schlagzeilen in Tansania: Mehr als 50 Männer, Kinder und Frauen mit Albinismus wurden Berichten zufolge seit März 2007 bei Ritualmorden getötet, viele weitere verstümmelt. Albinos verfügen wegen eines Gendefekts über wenig Farbpigmente und haben daher weiße Haut und Haare. Offenbar verkaufen kriminelle Banden ihre Körperteile zur Herstellung von Zaubermitteln.

Vor diesem Hintergrund macht sich die „Irente Rainbow School“ mit ihrem Spielplatz und dem bunt blühenden Garten wie ein kleines Wunder aus. Betrieben wird sie von der Nordost-Diözese der evangelisch-lutherischen Kirche Tansanias. „Andere Behindertenschulen nehmen nur Kinder mit leichten Behinderungen. Wir grenzen hier niemanden aus“, sagt Schulkoordinatorin Caroline Shedafa. Weil es in Tansania so gut wie keine speziell ausgebildeten Lehrer für Behinderte gibt, müssen sie direkt in der Praxis lernen – wie auch die Assistentinnen, die den besonders schwerbehinderten Mädchen und Jungen zur Seite stehen.

Doch nicht jedes Kind in den abgelegenen Bergdörfern kann die Schule erreichen. Auch Hawa kommt nur, wenn das Hausmädchen ihrer Großmutter sie morgens den Hügel hinunter zur Straße trägt, wo der Schulbus auf sie wartet. Das klappt nicht an jedem Tag. Fast ein Drittel der Kinder fehlt regelmäßig – sei es, weil die Eltern zu wenig motiviert oder mit dem täglichen Überleben beschäftigt sind.

Rund 400 weitere behinderte Kinder sind im sogenannten „Outreach-Programm“ der „Rainbow School“: Geschulte Laien aus der Region gehen in die Dörfer, um Familien zu unterstützen und das Leben ein wenig zu verbessern.

Was passiert mit den Kindern, wenn die Schulzeit vorbei ist?

Das vergleichsweise winzige Jahresbudget der „Rainbow School“ von 16.000 Euro wird unter anderem von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) mit Sitz in Wuppertal finanziert. Doch eine große Sorge haben die Mitarbeiter der 2005 gegründeten Schule: Was passiert mit den Kindern, wenn ihre Schulzeit vorüber ist? „Geschützte Werkstätten wie in Deutschland gibt es hier nicht“, sagt Koordinatorin Shedafa. Was bleibt, ist die Rückkehr zur Familie, wo sie vielleicht durch Hilfe auf dem Acker oder im Handwerk ein wenig zum Lebensunterhalt beitragen können.

Weiter oben in den Usambara-Bergen verbirgt sich noch eine weitere Einrichtung, die den Umgang mit Behinderten im Land grundlegend verändern will: Hier, im ebenfalls von der lutherischen Nordost-Diözese gegründeten „Sebastian Kolowa University College“, wurde die landesweit einzige Fakultät für Sonderpädagogik gegründet. 450 junge Männer und Frauen werden derzeit ausgebildet – vermutlich mehr Spezialisten, als Tansania in dem Bereich bisher hat.

Die Universität ist auch auf behinderte Studenten ausgerichtet: Es stehen Lesegeräte für Blindenschrift bereit, die Gehwege sind teils rollstuhlgerecht ausgebaut – ein Novum in Tansania. „Ein Kriterium, um den Grad der Zivilisiertheit einer Gesellschaft zu messen“, urteilt Dekanin Anneth Munga, „ist ihr Umgang mit behinderten Menschen“.

Von Ann Kathrin Sost (epd)