06.08.08

Vor 10 Jahren: Terroranschläge auf US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam


Fahndungsplakat

Fahndungsplakat

Vor zehn Jahren explodierten vor den US-Botschaften in Kenia und Tansania mit Sprengstoff beladene Lastwagen - die ersten Anschläge von El Kaida. Die USA wussten von der Gefahr - und bombardierten danach die Falschen. Es ist Freitagvormittag, der 7. August 1998. Im Zentrum der kenianischen Hauptstadt Nairobi herrscht Hochbetrieb. Unbeachtet nähert sich ein Lastwagen dem Hintereingang der US-Botschaft und muss an der Einfahrt anhalten. Der Beifahrer springt heraus und fordert den Sicherheitsbeamten auf, die Schranke zu öffnen. Er hat eine Pistole und mehrere Handgranaten bei sich. Noch bevor geöffnet werden kann, verliert der Fahrer die Nerven und zündet die im Wagen versteckte Sprengladung von über 800 Kilogramm.

235 Tote, tausende Verletzte

Die Detonation legt die Botschaft in Schutt und Asche, zahlreiche umliegende Gebäude werden beschädigt. 224 Menschen sterben und fast 5000 werden verletzt. Nur Minuten später ein ähnliches Szenario in Daressalam im benachbarten Tansania. Bei der Explosion eines zweiten Sprengstoff-Lastwagens kommen 11 Menschen um, 85 werden verwundet.

Weltweites Rätselraten setzt ein, wer hinter den Anschlägen stecken könnte, auch in Washington weiß man zunächst nichts über die Täter und deren Hintermänner. "Diese Terrorakte sind abscheulich, sie sind unmenschlich", sagt US-Präsident Bill Clinton. "Wir werden alles tun, um die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Gleich, was dafür nötig ist oder wie lange es dauert."

Der Beifahrer flieht

Es war Glück im Unglück, dass der Beifahrer des Sprengstoff-Lastwagens von Nairobi überlebte. Statt die Zufahrt zum Botschaftsgelände mit Waffengewalt zu erzwingen, ergriff der 24-jährige Mohamed Rashid Daoud al Owhali, ein saudischer Staatsangehöriger, die Flucht – nur Sekunden vor der Explosion. Wenig später wurde er festgenommen. Nach den Verhören wird klar, dass man es mit El Kaida zu tun hat – einem neuen Terrornetzwerk, das ein anderer Saudi, der Millionärssohn Osama Bin Laden, in Afghanistan aufgebaut hat.

Bin Laden hatte dort zunächst den Kampf gegen die Sowjets unterstützt, um seine Aktivitäten dann gegen das saudische Königshaus, vor allem aber gegen dessen Verbündete, die USA, zu richten. Monate vor den Anschlägen verfasste er eine Fatwa, die Muslime zum Kampf gegen die USA aufrief. "Die schlimmsten Diebe in der Welt heute und die schlimmsten Terroristen, das sind die Amerikaner. Wir unterscheiden nicht zwischen Militär und Zivilisten. Für uns sind sie alle ein Ziel", sagte Osama in einem Interview mit dem US-Journalisten John Miller zwei Monate vor den Attentaten.

Als Schläfer in Afrika

Die Ziele in Ostafrika hatte sich El Kaida da längst ausgesehen: Bereits 1994 werden "Schläfer" nach Kenia geschickt, die sich als vermeintliche Fischer in Mombasa niederließen, heirateten, Kinder hatten und auf ihren Einsatz warteten. Sie schmuggelten den Sprengstoff ins Land. Zehn Wochen vor dem Angriff wurden die beiden saudischen Selbstmordtäter ausgesucht: Jihad Muhamed Ali und Mohamed al Owhaly. Zwei Wochen vor dem Angriff kam ein Bombenexperte nach Kenia, vier Tage vor dem Angriff trafen sich die drei in Nairobi. Die Zelle in Mombasa wurde aufgelöst.

Ein Wunder, dass von den Vorbereitungen nichts bekannt wurde. Hinweise und Warnungen wurden von Washington nicht ernst genommen. Prudence Bushnell, damalige US-Botschafterin in Nairobi, erinnert sich an einen Mann, der von der Straße kam und eine Warnung überbrachte. "Der Mann gab uns den Hinweis, dass wir von einem Sprengstoff-LKW angegriffen werden sollten. Die Information wurde der CIA geschickt. Nachdem man mir aus der mittleren Ebene gesagt hatte, ich solle das vergessen, schrieb ich Ministerin Albright, dass die Botschaft angreifbar sei - ich habe nie eine Antwort bekommen."

Zuvor schon hatten amerikanische Experten das Gebäude als Sicherheitsrisiko eingestuft, auch ihre Warnungen blieben ohne Folgen. Nach den Anschlägen sollte sich das grundlegend ändern. Spezial-Einheiten des FBI machten sich auf die Spurensuche, sie verhören Mohamed al Owhaly und es gelang ihnen schließlich, vier Tatverdächtige festzunehmen und in die USA zu bringen.

Zerbombte Pharma-Fabrik

Auf der Grundlage dieser Untersuchungs-Erkenntnisse kamen die engsten Sicherheitsberater von Präsident Clinton zum Schluss, dass Osama Bin Laden hinter den Anschlägen steckt. Am 20. August 1998 schlugen die USA zurück: 70 Tomahawk-Marschflugkörper werden auf drei Ausbildungslager von El Kaida in Afghanistan und auf eine vermeintliche Chemiefabrik am Stadtrand der sudanesischen Hauptstadt Khartoum abgefeuert, in der Bin Laden angeblich Giftgas produzieren lässt.

 

Der Angriff erwies sich als Fehlschlag: Die afghanischen Lager waren leer, die Chemiefabrik war nur ein pharmazeutischer Betrieb. Washington muss sich später für seine Bombardierung entschuldigen. Direkt nach dem Angriff räumte US-Verteidigungsminister William Cohen ein, dass man das Problem Terrorismus so nicht lösen könne. "Aber unsere Botschaft ist klar: Es wird kein Schutzgebiet für Terroristen geben und keine Grenze für unsere Entschlossenheit, amerikanische Bürger und unsere Interessen zu verteidigen. Wer unsere Leute angreift, wird keinen sicheren Platz finden und keinen Zufluchtsort."

 

Drei Jahre später werden im Oktober 2001 die vier Haupt-Tatverdächtigen in New York zu lebenslanger Haft verurteilt, nach ihren Komplizen wird weiter gefahndet. Drei der Vier betreten das Gericht mit einem Lächeln. Sie wissen, was fünf Wochen zuvor am 11. September 2001 in der Nachbarschaft geschehen war. Im Vergleich damit war ihre Tat nur eine Ouvertüre.

 

Aus: Peter Philipp in "Deutsche Welle" vom 6.8.2008