21.10.22

Politische Kehrtwende: Staatspräsidentin spricht sich für Geburtenkontrolle aus


Kinderreichtum in Tansania (Foto: Peter Harke)

In vielen Bereichen hat die tansanische Staatspräsidentin Samia Suluhu Hassan nach Amtsantritt eine politische Kehrtwende in die Wege geleitet. Während ihres kürzlichen Besuchs in den Regionen Kagera, Geita und Kigoma sprach sie jetzt erstmals auch offen über die Notwendigkeit einer Geburtenkontrolle und forderte damit die konservativen Kräfte des Landes heraus. Ihr autokratischer Amtsvorgänger John Magufuli hatte Frauen, die nicht ausreichend Kinder in die Welt setzen, noch als "faul" bezeichnet und sie aufgefordert, "ihre Eierstöcke zu öffnen". 

"Die Bevölkerung sollte es langsamer angehen lassen"

Hassan sagte, die Geburtenkontrolle müsse sich an der Fähigkeit des Landes ausrichten, ihren Bürgern soziale Dienste anzubieten. „Mir wurde gesagt, dass es ein Gesundheitszentrum gibt, das 1.000 Müttern pro Monat bei der Geburt hilft.  Das ist bereits eine extrem große Zahl. Wie wird dann erst die Situation in den nächsten drei Jahren aussehen?“ fragte die Staatspräsidentin. „Wie viele Klassenzimmer, Gesundheitszentren und Tonnen an Lebensmitteln werden dann benötigt? Die Bevölkerung sollte es langsamer angehen lassen.“

Diese Aussagen stießen auf ganz unterschiedliche Reaktionen. Während einige Tansanier lobten, dass Präsidentin Samia das richtige Entwicklungsmodell für Tansania im Auge habe, sagten andere, dass eine hohe Bevölkerungszahl effizient zur Stimulierung der Entwicklung des Landes genutzt werden könne.

Mit ihren klaren Worten forderte die Präsidentin nicht nur die konservativen Kirchen, sondern auch die eigene Partei heraus, in der nach ihren Angaben immer noch propagiert wird, dass Mütter so viele Kinder wie möglich zur Welt bringen sollten.

600 Millionen Einwohner zur Jahrhundertwende?

Bei der Fortdauer des gegenwärtigen Bevölkerungswachstums würde die Einwohnerzahl von Tansania, die gegenwärtig geschätzt bei 61 Millionen liegt, mathematisch gesehen auf 100 Millionen im Jahr 2039, 140 Millionen im Jahr 2050 und über 600 Millionen zum Ende des Jahrhunderts steigen. Mehrere tansanische Städte wie Daressalam oder Mwanza zählen bereits jetzt zu den am schnellsten wachsenden Großstädte weltweit.

Der Anteil der Bevölkerung unter 15 Jahren liegt in Tansania aktuell bei 44 Prozent und das Durchschnittsalter bei nur 18 Jahren. Zum Vergleich: In Deutschland sind 14 Prozent jünger als 15 Jahre, und das Durchschnittsalter liegt bei 43.

"Wirtschaftswachstum erfordert Bevölkerungswachstum von nicht mehr als zwei Prozent"

Prof. Humphrey Mushi von der Universität Daressalam (UDSM) wird in den Medien mit der Aussage zitiert, dass es gelungen sei, Chinas Bevölkerungswachstum seit 30 Jahren auf 1,6 Prozent zu begrenzen, während im gleichen Zeitraum die Wirtschaft um 9,5 Prozent gewachsen sei. „Eine Wirtschaft, die um fünf oder sechs Prozent wächst, erfordert ein Bevölkerungswachstum von nicht mehr als zwei Prozent, damit die Menschen effizient mit sozialen Dienstleistungen versorgt werden können“, sagte er gegenüber der Presse. „Während das Jahreseinkommen der Chinesen 10.000 Dollar beträgt, liegt unseres bei 1.000. Daher ist das, was die Präsidentin in ihrem Aufruf gesagt hat, der richtige Schritt“, fügte Mushi hinzu.

"Zu große Herausforderungen bei der Ressourcenverteilung"

Der Ökonom Prof. Abel Kinyondo bezeichnete den gegenwärtigen Kinderreichtum als "ein Zeichen von Armut" und befürchtet "zu große Herausforderungen bei der Ressourcenverteilung". „Soziale Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung könnten kaum bereitgestellt werden, um den Bedarf der anwachsenden Bevölkerung zu decken. Das ist auch gefährlich, weil die Zahl der abhängigen Menschen im Land zunimmt“, sagte er und stellte die Frage, "ob das Land über genügend Infrastruktur verfügt, um es den vielen Bewohnern zu ermöglichen, Arbeit zu finden oder sich selbst zu beschäftigen“. Arbeitslose Jugendliche könnten außerdem leicht in die Kriminalität gezogen werden.

"Bevölkerungswachstum zum Nutzen des Landes verwenden"

Prof. Haji Semboja von der State University of Sansibar (Suza) sieht dagegen Tansanias Mangel an Arbeitskräften als Wendepunkt. „Das Bevölkerungswachstum sollte zum Nutzen des Landes verwendet werden und Reichtum aus den lukrativen natürlichen Ressourcen wie Land, Mineralien, Wäldern und Gewässern ziehen“, sagte er und fügte hinzu, dass dafür mehr Investitionen erforderlich seien. Er sieht aber auch die Gefahr, dass das Bevölkerungswachstum bei einer ins Stocken geratene wirtschaftliche Entwicklung zu einer tickenden Zeitbombe werden könne.

Frauenvereinigung lobt Staatspräsidentin

Die Geschäftsführerin der Tanzania Media Women Association (Tamwa), Rose Reuben, lobte Präsidentin Hassan für ihre Erklärung und sagte, das Statement sei richtigerweise zu einem Zeitpunkt gekommen, wo die Weltwirtschaft aus verschiedenen Gründen eingebrochen sei.