Heinz Schneppen, "Sansibar und die Deutschen"

LIT Verlag, Münster, 2. Auflage 2006
562 S., 35,90 EUR

Ein ehemaliger deutscher Botschafter schreibt Geschichte

Heinz Schneppen, 73, weiß, wovon er schreibt: Der promovierte Historiker war von 1993-1996 deutscher Botschafter in Tansania, und er hat seit dieser Zeit auch schon zahlreiche kleinere Abhandlungen in englischer Sprache verfasst. Mit seinem umfangreichen Werk ?Sansibar und die Deutschen. Ein besonderes Verhältnis. 1844-1966? legt er nun eine große historische Fleißarbeit vor, die einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen und der europäischen Kolonialgeschichte leistet.

Der Titel "Sansibar und die Deutschen" ist als "diplomatisches Understatement" zu werten, steht Sansibar zwar immer wieder im Mittelpunkt der Abhandlungen, geht es dem Autor grundsätzlich aber um sehr viel mehr: um die Kolonisierung Ostafrikas, um Mission, Forschung und Handel, um die Geschichte der ostafrikanischen Sklaverei und die in diesem Zusammenhang besondere (bislang kaum diskutierte und untersuchte) Rolle der Deutschen, um Carl Peters, um die (viel differenziertere, als gemeinhin bekannte) Kolonialpolitik Bismarcks, um Prinzessin Salme und ihre Funktionalisierung, um den Helgoland-Sansibar-Vertrag, um die Gründung des vereinigten Tansanias und um die Aufdeckung zahlreicher kleiner und größerer historischer Legenden (nein, der Kilimandscharo war kein Geschenk der englischen Königin an die Deutschen: "Pointiert lässt sich sagen, daß der Kilimandscharo deswegen in Tansania liegt, weil sich Mombassa in Kenia befindet").

Alleine schon das durch unzählige Quellenangaben (vor allem aus den Bundesarchiven, aber auch aus englischen und tansanischen Archiven) belegte und erläuterte diplomatische Gerangel zwischen den beiden Kolonialmächten Deutschland und England lohnt die Lektüre, und so ganz nebenbei bekommen die Sultane von Sansibar politische und menschliche Konturen im Spannungsfeld zwischen tatsächlicher Macht und den konkurrierenden (oft aber auch aufeinander abgestimmten) kolonialen Interessen Deutschlands und Englands.

Ein gesondertes Kapitel ist dem Helgoland-Sansibar-Vertrag gewidmet. Zwar ist Helgoland nicht gegen Sansibar getauscht worden, weil Sansibar bekanntlich nie wirklich zu Deutschland gehört hat. Aber in welch großem Umfang Sansibar tatsächlich in deutscher Hand gewesen ist, ist kaum zuvor jemals deutlicher beschrieben worden: "War die Insel auch nicht von den Deutschen besetzt, so schien sie doch von ihnen beherrscht." Das Aufzeigen deutscher Spuren auf der Gewürzinsel sollte daher Gegenstand neu aufgelegter Sansibar-Reiseführer werden, die den Einfluß deutscher Händler und Diplomaten vor dem Vertragsabschluß (es ging bei der Rückkehr Helgolands hauptsächlich um die militärische Absicherung des Nord-Ostsee-Kanals) in ihren historischen Kapiteln bislang fast vollständig ausgespart haben. Wie es schließlich Deutschland bis zum ersten Weltkrieg gelang, sich in einem Wechselspiel von kolonialer Eroberung, Diplomatie, Militärgewalt und Abenteurertum in Konkurrenz mit der Weltmacht England die ostafrikanischen Kolonialgebiete anzueignen (wobei die Sultane zunehmend nur noch als mehr oder weniger hilflose Marionetten agierten), wird in dem Buch äußerst anschaulich und detailliert beschrieben.

Besonders interessant auch (weil bislang weitgehend unbekannt) die Schilderung der schwierigen Rolle Nyereres in der Auseinandersetzung um die Anerkennung der DDR durch die Revolutionsregierung Sansibars. Es war Nyerere, der um jeden Preis den Anschluß Sansibars an den Ostblock verhindern wollte und dafür zeitweilig sogar deutsche Militärhilfe in Anspruch nahm, es war aber auch Nyerere, der 1965 zumindest für einige Wochen offiziell den Verzicht auf bundesdeutsche Entwicklungshilfe erklärte, um sich durch die Hallstein-Doktrin nicht weiter von Deutschland erpressen zu lassen.

"Sansibar und die Deutschen" ist vor allem durch seine sorgfältige Auswertung deutscher Kolonialakten eine wertvolle Ergänzung der wenigen bereits existierenden historischen Werke. Ein Folgeband "Das ostafrikanische Festland und die Deutschen" wäre optimal.

Von Rudolf Blauth.