"Die Kultur des Lesens nimmt bei uns stark ab!"

Interview mit dem Schriftsteller und Vorsitzenden des "Book Development Council of Tanzania" Adam Shafi Adam

Frage: Herr Shafi, Sie sind vielen Tansania-Freunden in Deutschland als Autor des Buches „Die Sklaverei der Gewürze“ bekannt. In diesem Buch geht es um Lebensgeschichten auf Gewürzplantagen in Sansibar zum Zeitpunkt der Revolution. Wie hat sich Ihre literarische Arbeit weiter entwickelt?

Adam Shafi Adam: Ich habe einige weitere Bücher geschrieben, die allerdings nicht in die deutsche Sprache übersetzt worden sind: Dies ist das Buch "Kuli", eine Novelle, in der es um den Generalstreik der Hafenarbeiter von Sansibar im Jahre 1948 geht.
Dann das Buch "Tauziehen" (Vuta n´kuvute“), das ich im Jahre 1999 geschrieben habe. Es handelt sich hierbei um eine Liebesgeschichte: Eine indische Frau verliebt sich in den 60iger Jahren, also während der britischen Kolonialzeit, in einen tansanischen politischen Aktivisten. Eine solche Beziehung wäre bis heute für Inder undenkbar.
Schließlich ganz aktuell die Novelle "Der Verräter" ("Haini"). In dieser Geschichte geht es um die Ermordung von Karume, des ersten Staatspräsidenten von Sansibar.

Frage: Die deutsche Übersetzung Ihres Buches „Die Sklaverei der Gewürze“ wurde im Münchner Marino-Verlag publiziert, ist aber schon seit einigen Jahren vergriffen, was für ein Buch eines ostafrikanischen Autors recht ungewöhnlich ist. Ist Ihnen bekannt, warum es keine Neuauflage gibt?

Adam Shafi Adam: Der Marino-Verlag ist zwischenzeitlich an den Bertelsmann-Verlag verkauft worden. Ilja Trojanow, der den Marino-Verlag gegründet hat, ging nach Indien, wo er mittlerweile auch geheiratet hat. Zur Zeit ist nicht ganz klar, was der Bertelsmann-Verlag mit den vom Marino-Verlag übernommen Büchern macht.

Frage: Können Sie uns einmal grundsätzlich die Situation von Schriftstellern in Tansania beschreiben?

Adam Shafi Adam: Das Verlagswesen ist in Tansania nur sehr schwach ausgebildet. Werke tansanischer Autoren werden nur sehr selektiv verlegt, eigentlich wird nur das veröffentlicht, was sehr schnell Geld bringt. Oder wo es Sponsoren aus dem Ausland gibt. Ein Beispiel: In unserem Land gibt es das „Primary Education Development Program“. Danach stellen Spender jedem Grundschulkind 10 USD  pro Jahr für Schulbücher  zur Verfügung. In der Summe sind dies Millionen. Also werden gegenwärtig vor allem Schulbücher für Grundschulen publiziert.

Frage: Das Potential erwachsener Leser ist gering?

Adam Shafi Adam: Ja, das kann man so sagen. Die Kultur des Lesens nimmt bei uns stark ab. Und dies hängt nicht primär damit zusammen, daß Fernsehen und Videos in unserem Land eine immer größere Rolle spielen. In Deutschland wird auch sehr viel Zeit mit Videofilmen und TV verbracht - und trotzdem wird immer noch sehr viel gelesen. Ich saß in Deutschland einmal in einem Zug und wollte mich im Abteil mit meinen Mitreisenden unterhalten. Dies war überhaupt nicht möglich, weil alle in einem Buch lasen!

Frage: In welchem tansanischen Verlag ist Ihr neuestes Werk „Der Verräter“ erschienen?

Adam Shafi Adam: Leider ist es überhaupt nicht in Tansania erschienen, sondern in Kenia. Dazu muß ich erläutern, daß das Thema des Buches, nämlich die Ermordung von Karume auf Sansibar, politisch äußerst brisant ist. Dabei wird natürlich Karume selbst namentlich nicht erwähnt. Aber es geht vor allem auch um die brisante Frage der Verletzung von Menschenrechten in unseren Gefängnissen.

Frage: Wie haben Sie persönlich den Wahlbetrug auf Sansibar Anfang 2001 und die anschließenden Unruhen erlebt?

Adam Shafi Adam: Ich habe sie nicht persönlich miterlebt, weil ich selbst in der Singida-Region als Wahlbeobachter eingesetzt worden bin. Daher kann ich hierzu nicht sehr viel sagen.

Frage: Sind die Ereignisse auf Sansibar in irgendeiner Form literarisch verarbeitet worden?

Adam Shafi Adam: Nein. Über die Ereignisse hat bislang niemand geschrieben.

Frage: Wie wird die Öffentlichkeit in Tansania auf Ihr neues Buch „Der Verrat“ reagieren?

Adam Shafi Adam: Ich befürchte ehrlich gesagt keine guten Reaktionen. Ich habe ein Tabu-Thema angesprochen, über das bislang noch nie geschrieben worden ist.

Frage: Ist eine Übersetzung in Deutsch oder in Englisch geplant?

Adam Shafi Adam: "Die Sklaverei der Gewürze" ist in die deutsche und in die französische Sprache übersetzt worden. "Der Verrat" wurde von mir, wie alle meine Bücher, auf Kisuaheli geschrieben und wird gegenwärtig von mir in die englische Sprache übersetzt. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn erneut auch eine Übersetzung in die deutsche Sprache möglich wäre.

Frage: Sprechen wir einmal ganz allgemein über Ihre Heimat, über Sansibar. Wie wird sich die Insel weiter entwickeln?

Adam Shafi Adam: Sansibar ist einer der schönsten Orte in der Welt! So eine schöne Insel ist auch eine ganz hervorragende Touristenattraktion. Und die Entwicklung von Tourismus bedeutet die Entwicklung der dazugehörigen Industrie und damit eine gute Zukunftsperspektive. (lacht) Ja, ich sollte mich vielleicht wieder mehr um mein Ferienhaus in Bububu kümmern, wo ich Räume vermiete.

(Das Interview führte Rudolf Blauth im Oktober 2002 in Dar es Salaam)